Was ist die Bibel und wie ist sie entstanden?

Insgesamt schrieben mindestens 40 menschliche Autoren und Redaktoren in einem Zeitraum von ca. 1.000 Jahren an der Bibel. Viele ihrer Erzählungen klingen all zu wundersam. Aber genau das ist schließlich der Grund, warum sie aufgeschrieben wurden: Es war schon für die Menschen damals etwas ganz Besonderes!

Die hebräischen Schriften (Tanach)

Der vordere Teil der modernen, christlichen Bibel (das Erste bzw. Alte Testament) besteht aus 39 Büchern in ursprünglich hebräischer und teils aramäischer Sprache, die grob nach ihrer Entstehungszeit sortiert sind. Diese Bücher sind bis auf die Anordnung identisch mit der hebräischen Bibel der Juden, die auch Tanach genannt wird. Der Tanach ist seinerseits aufgeteilt in die drei Hauptteile Torah (das Gesetz), Nevi‘im (die Propheten) und Ketuvim (die Schriften). Das Wort Tanach (geschrieben mit den hebräischen Konsonanten TNK) ist übrigens ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben dieser drei Teile. Im Tanach findet sich in erster Linie die Geschichte Israels, die jüdische Gesetzgebung, aber auch Königschroniken, emotionale Lieder, zeitlose Weisheitsliteratur sowie Darstellungen göttlicher Visionen und Prophetien. Ein immer wiederkehrendes Element all dieser Texte ist die Hoffnung und der Hinweis auf einen gottgesandten Erlöser, der Frieden auf Erden bringen wird.

Seiten aus der Biblia Hebraica Stuttgartensia

Die Entstehung der einzelnen Werke ist aufgrund ihres hohen Alters nur bedingt nachvollziehbar. Die Torah, also die berühmten fünf Bücher Mose, könnten in einer Ur-Fassung bereits aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. stammen, während das Prophetenbuch Maleachi wohl erst im 4. Jahrhundert v. Chr. fertiggestellt wurde. Spätestens um 200 v. Chr. war die heutige Komposition des Tanach im Tempelkult und dem religiösen Leben der Juden festgelegt. In dieser Zeit wurde nämlich eine griechische Übersetzung der hebräischen Bibel angefertigt, die Septuaginta. Darin sind alle Bücher des heutigen Alten Testaments enthalten. Der Überlieferung zufolge haben sich für dieses gigantische Projekt 70 jüdische Gelehrte in Alexandria versammelt und innerhalb von 72 Tagen alle Texte übersetzt (Josephus Flavius, Jüdische Altertümer, Buch XII, 104ff). Daher der griechische Name Septuaginta: Siebzig.

Als im Jahr 70 n. Chr. der Jerusalemer Tempel zerstört wurde und die jüdische Religion zu zerfallen drohte, traf sich der Sanhedrin (der Hohe Rat der Juden) in der Stadt Jawne und bestätigte dort die Schriftensammlung, die sich schon zuvor im Tanach etabliert hatte. Da die Juden kein zentrales Heiligtum mehr hatten, musste endgültig klargestellt werden, welche Geschichten über Gott wohl der Wahrheit entsprachen und welche unbedeutend oder verfälscht waren. Ein Kanon ist eine solche Text-Auswahl bzw. ein Maßstab. Von der Septuaginta wurden nur acht Bücher nicht in den Kanon aufgenommen. Bis heute werden sie (beispielsweise in der Luther-Bibel) als apokryph bezeichnet, das bedeutet verborgen. Eine etwas irreführende Bezeichnung, denn es handelt sich um keine geheimen Dokumente, sondern jeder kann sie lesen, der des Lesens mächtig ist.

Die griechischen Schriften (Jesus-Literatur)

Der hintere Teil unserer Bibeln (das Zweite bzw. Neue Testament) besteht aus 27 Büchern in altgriechischer Sprache. Derer Wichtigsten sind die 4 Evangelien (das bedeutet gute Nachricht), denn darin wird die Lebensgeschichte des Jesus aus Nazaret erzählt. Das Markus-Evangelium ist nach Meinung der meisten Gelehrten das älteste Evangelium. Es wurde zwischen 60 und 70 n. Chr. geschrieben, also ca. 40 Jahre nach Jesu Tod. Es ist nicht bekannt, dass der Wanderprediger selbst ein Schriftstück verfasst hätte. Dafür schrieb allein sein Jünger Paulus zwischen 50 und 70 n. Chr. mindestens 13 Briefe an verschiedene Christen-Gemeinden in Kleinasien, Griechenland und Rom. Darin entfaltete er die weitreichende Bedeutung des Lebens und Sterbens Jesu. Im gesamten Zweiten Testament wird Jesus als der verheißene Erlöser des Ersten Testaments gedeutet.

Die ersten Seiten der Bibel

Etwa 100 n. Chr. waren alle Zeitgenossen Jesu gestorben. Bei den frühen Christen-Gemeinden hatte sich zwar der Gebrauch einer gewissen Anzahl Schriften etabliert, von denen man sicher wusste, dass sie von einem zuverlässigen Augenzeugen oder einem ihrer Begleiter geschrieben wurden. Jedoch entstanden immer mehr Schriften, die irgendwelche Dinge über diesen bemerkenswerten Mann erzählten. Darunter waren viele Pseudo-Epigraphien, das sind Schriften, die im Namen einer Autoritätsperson wie Paulus geschrieben wurden, aber tatsächlich von einem anderen, viel jüngeren Autor stammen. Somit bestand wieder die Notwendigkeit eines Kanons, der zweifelsfrei festlegte, welche Dokumente authentisch waren und welche nicht.

Die früheste Auflistung aller 27 Bücher des Neuen Testaments stammt von Athanasius von Alexandrien aus dem Jahr 367 n. Chr. Kurz nach ihm definierten auch die Kirchenväter Hieronymus und Augustinus die gleiche Liste. Das 4. Jahrhundert erscheint spät, doch die elementaren Bestandteile der Jesus-Lehre (Die 4 Evangelien und die meisten Briefe) waren schon seit ihrer Abfassung im 1. Jahrhundert bei den Christen-Gemeinden im Umlauf und daher überall als vertrauenswürdige Schriften bekannt (vgl. Kolosser 4,16).

Als schließlich ein Kirchenkonzil (die Synode von Hippo im Jahr 393 n. Chr.) die Bücher des Neuen Testaments bestätigte, gewährte es ihnen keine Autorität, die sie nicht sowieso schon besaßen. Wie beim Kanon des Tanach bestätigte das Konzil nur, was sich bei den Gläubigen längst durchgesetzt hatte.

Eine Bibliothek mit unscharfem Rand

Ein Kanon war immer am Ende einer bestimmten Epoche notwendig. Als es keine Propheten mehr gab, wurden die Schriften der Propheten gesammelt, und als die ersten Jesus-Nachfolger tot waren, wurden deren Schriften gesammelt. Gemeinsam bilden der hebräische und griechische Kanon die heutige Bibel der meisten Christen. Beide Teile sind gleich wichtig, wie der Anfang und das Ende eines Films. Das Ende kann nur dann richtig verstanden werden, wenn man den Anfang kennt. Das Zweite Testament hat das Erste nicht abgelöst, sondern erfüllt:

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen! Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergangen sind, wird nicht ein Buchstabe noch ein einziges Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.“

Jesus Christus (Matthäus 5,17+18 SLT)

Das Gesetz, also die Torah bzw. die fünf Bücher Mose, bilden die absolute Grundlage jedes jüdisch-christlichen Denkens. Alle weiteren biblischen Texte mussten in jedem Fall eine Voraussetzung erfüllen: Der Torah nicht widersprechen. Abgesehen davon war die Entstehung der Bibel ein höchst dynamischer Prozess, der bis heute nicht zwingend abgeschlossen ist. Jahrhunderte lang wurde über die Zusammensetzung der biblischen Bücher leidenschaftlich gerungen. Manche Schriften, wie beispielsweise die Johannes-Apokalypse (um 95 n. Chr.), sind bis heute umstritten, während andere von Beginn an überall akzeptiert wurden. Man könnte sagen, die Bibel hat eine Mitte, nämlich die Torah und die Evangelien, aber auch einen unscharfen Rand. Es gibt durchaus nützliche Apokryphen, die leicht Teil der Bibel hätten werden können. Einige Beispiele:

  • Das Buch der Jubiläen (2. Jahrhundert v. Chr.), gilt in der äthiopisch-orthodoxen Kirche bis heute als kanonisch.
  • Im 1. Buch der Makkabäer (ca. 100 v. Chr.) wird der Hintergrund des jüdischen Festes der Tempelweihe (Chanukka) erläutert, das Jesus im Johannes-Evangelium (Kapitel 10,22) besuchte.
  • Der 1. Clemens-Brief (um 100 n. Chr.) wurde noch bis ins 5. Jahrhundert in christlichen Gottesdiensten gelesen.
  • In Vers 14 des biblischen Judas-Briefs wird Kapitel 1,9 des außerbiblischen äthiopischen Henoch-Buchs (3. Jahrhundert v. Chr.) zitiert.

Angesichts dieser Unschärfe sollten wir den biblischen Kanon auch heute noch überdenken, falls verloren gegangene, authentische Schriften über den Gott Israels oder den Mann aus Nazaret wiederentdeckt werden. Wir leben in spannenden Zeiten!

Authentizität der Jesus-Literatur

Nun könnte leicht behauptet werden, dass im Prozess der Kanonisierung der Jesus-Literatur gezielt Bücher aussortiert wurden, weil irgendwelche Verschwörer die Wahrheit manipulieren wollten. Aber es gibt keine realistische Grundlage für solche Unterstellungen. Die Personen, die den Kanon bestätigten, waren äußerst gottesfürchtige Juden und Nachfolger Jesu, die ein aufrichtiges Interesse an der wahren Lehre hatten. Anhand dreier Kriterien wurde beurteilt, welche Schrift einer Aufnahme in den Kanon gewürdigt wurde:

  • War der Autor ein Augenzeuge Jesu oder hatte er anderweitige Informationen aus erster Hand?
  • Stimmt die Schrift mit den unumstrittenen Kern-Gedanken der Torah und des Evangeliums von Jesus Christus überein?
  • Wurde bzw. wird die Schrift in den Gottesdiensten der Christenbewegung häufig und zum Nutzen aller gelesen?

So konnten verwirrende Texte wie die höllische Petrus-Apokalypse oder radikale Irrlehren wie die des Marcion (ca. 90–160 n. Chr.) als solche entlarvt werden. Marcion hatte vorgeschlagen, das gesamte Alte Testament zu verwerfen und das Lukas-Evangelium sowie 9 Paulus-Briefe zu einer „gereinigten“ Marcion-Bibel zusammenzufassen.

Die vielen christlichen Gemeinden funktionierten von Anfang an als dynamische Auslegungs- und Regulierungs-Gemeinschaft. Die Jesus-Nachfolger korrigierten sich gegenseitig, ohne dass es eine einzige, zentrale Autorität gegeben hätte, die (falsche) Entscheidungen treffen konnte.

Die Verdrehung der biblischen Gesamtaussage geschah erst während der Herrschaft der mittelalterlichen Kirche, als das Christentum zentral durch einen Papst regiert wurde. In dieser Zeit wurde eine lateinische Bibel-Übersetzung namens Vulgata verwendet, aber außer den Kirchen-Gelehrten konnte kaum jemand Latein, geschweige denn Hebräisch oder Griechisch. Wissen ist Macht – Dieses Prinzip wurde von der Kirche erbarmungslos ausgenutzt. Dem Volk wurde von einer feurigen Hölle im Jenseits gepredigt, der man nur entgehen konnte, wenn man sein Geld zum Wohle der Kirche spendete. Schließlich wurde sogar in der Synode von Toulouse des Jahres 1229 bestimmt, dass Laien der Besitz einer Bibel grundsätzlich verboten war, und selbst Kleriker durften keine in eine Volkssprache übersetzte Bibel besitzen (siehe Franz Heinrich Reusch, Der Index der verbotenen Bücher, 1883, Band 1, S. 44 oder Carl Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums, 1911, S. 155). Das einfache Volk hatte praktisch keine Möglichkeit, die kirchlichen Lügen zu entlarven.

Martin Luther als Professor (Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren, 1528)

Die Auslegung der Bibel wurde manipuliert, aber nicht die Bibel selbst. Und so konnte schließlich ein Mönch namens Martin Luther im Jahre 1534 eine deutsche Bibel-Übersetzung fertigstellen, die jeder lesen konnte, der des Lesens mächtig war. Durch die Erfindung des Buchdrucks um 1450 wurden die Bibeln erstmals in rasender Geschwindigkeit unter dem Volk verbreitet. Das führte zur Reformation und zum Ende der kirchlichen Unterdrückung.

Ein anderes, häufig gebrachtes Argument besagt, das Neue Testament sei im Zuge seiner Überlieferung (vorsätzlich oder versehentlich) verfälscht worden. Nur wann genau soll das geschehen sein? Die griechischen Schriften wurden von Anfang an zwischen den ersten Christen-Gemeinden hin- und hergereicht und breiteten sich rasant und unkontrollierbar aus. Die beiden hervorragenden Theologen Roland Werner und Guido Baltes schrieben dazu: „Jede Gemeinde wollte natürlich eine eigene Abschrift der neutestamentlichen Bücher besitzen. An eine spätere kirchliche Zensur oder eine absichtliche Fälschung der Texte war danach gar nicht mehr zu denken, denn es gab ja an zu vielen anderen Orten Handschriften mit dem richtigen Text. Solche Behauptungen haben also keine historische Grundlage. Kleinere Abschreibfehler und Ungenauigkeiten konnten allerdings vorkommen. […] Aber gleichzeitig wurde ja an unzähligen anderen Orten der ursprüngliche Wortlaut weiter bewahrt. Aus einem kritschen Vergleich aller heute erhaltenen Abschriften lässt sich deshalb ohne weiteres der Originaltext ziemlich genau wiederherstellen“ (Faszination Jesus, Gießen 2005, S. 217+218).

Heute ist leider kein einziges Original-Manuskript von Jesu Begleitern mehr übrig, sondern nur spätere Abschriften. Das älteste noch existierende Fragment der griechischen Schriften wurde auf etwa 125–175 n. Chr. datiert. Es handelt sich um das Rylands Papyrus 52, ein winziges Stück aus dem Johannes-Evangelium. Größere Teile des Neuen Testaments sind uns in Form des Papyrus 46 der Chester-Beatty-Papyri erhalten, das aus der Zeit um 175–225 n. Chr. stammt und fast alle Paulus-Briefe enthält. Somit kann grob gesagt werden: Zwischen der Original-Niederschrift und der ältesten noch existierenden Kopie liegen zwischen 100 und 150 Jahre. In solch vergleichsweise kleinen Zeiträumen werden Texte durch Abschreiben nicht wirklich verändert.

Das älteste Manuskript, das das komplette Neue Testament (abgesehen von wenigen Versen) und mehr als die Hälfte des Alten Testaments enthält, ist übrigens der Codex Sinaiticus, der auf das Jahr 350 n. Chr. datiert wird. Das wertvolle Dokument wurde 1859 im Katharinenkloster in der Wüste Sinai (Ägypten) gefunden und befindet sich heute im Britischen Museum.

Wer an der Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Berichte zweifelt, muss gleichermaßen die Existenz von Platon, Aristoteles oder Julius Cäsar in Frage stellen, denn über deren Leben ist viel weniger Material erhalten – und der zeitliche Abstand zwischen der Niederschrift und der ältesten erhaltenen Kopie ist um Zehnerpotenzen größer (Frederick William Hall, A Companion To Classical Texts, Oxford 1913, S. 199ff). Einer der größten Bibel-Archäologen, William F. Albright, schrieb: „Es besteht kein stichhaltiger Grund mehr, irgendein Buch des Neuen Testaments später als etwa 80 n. Chr. anzusetzen – zwei volle Generationen vor der Zeit zwischen 130 und 150, die heute von den radikaleren Kritikern des Neuen Testaments angenommen wird“ (Die Bibel im Licht der Altertumsforschung. Ein Bericht über die Arbeit eines Jahrhunderts, Stuttgart 1957). Keine historische Schriftsammlung über ein Ereignis der Antike ist so gut und so früh bezeugt wie das Neue Testament der Bibel.

Authentizität des Tanach

Ein Teil der Qumran-Schriftrollen im Israel-Museum von Jerusalem

Die Manuskripte, denen der erste Teil unserer modernen Bibel zugrunde liegt, wurden von jüdischen Gelehrten, den so genannten Talmudisten (100–500 n. Chr.) und den Masoreten (500–900 n. Chr., masorah = Überlieferung) über Jahrhunderte hinweg immer wieder mit größter Genauigkeit abgeschrieben. Um wirklich überhaupt keine Fehler zu machen, zählten sie in ihrer Vorlage alle Buchstaben (!), und überprüften diese Anzahl mit den Buchstaben der Kopie. Dabei schrieben sie einige relevante Buchstaben größer als die anderen, zum Beispiel das Waw im Buch Leviticus (Kapitel 11,42), das die exakte Mitte der Torah markiert. Um diese Leistung der Masoreten ausreichend zu würdigen, sei angemerkt, dass allein die Torah 304.805 Buchstaben in 79.847 Wörtern enthält. Sir Frederic G. Kenyon, ehemaliger Direktor des Britischen Museums und große Autorität im Bereich biblischer Manuskripte, meinte: „Die Masoreten waren darum bemüht, dass auch nicht ein Jota noch Tüttel, nicht der kleinste Buchstabe noch der kleinste Teil eines Buchstabens des Gesetzes vergehen oder verlorengehen sollte“ (Our Bible and The Ancient Manuscripts, New York 1941, S. 38).

Das älteste vollständige Manuskript der hebräischen Bibel ist der Codex Leningradensis aus dem Jahr 1008 n. Chr. Eigentlich gäbe es noch ein älteres vollständiges Manuskript, den Codex von Aleppo (etwa 920 n. Chr.), von dem jedoch fast die Hälfte verloren ging, als 1947 die Synagoge von Aleppo in Brand gesteckt wurde. Aus früherer Zeit existieren nur Teile der Bibel, so zum Beispiel der Kairo-Codex von 895 n. Chr., der von dem Masoretengeschlecht Moses ben Ascher hergestellt wurde und einige Prophetenbücher enthält. Erwähnenswert ist auch der Prophetencodex aus Leningrad von 916 n. Chr., der die drei großen Prophetenbücher Jesaja, Jeremia und Hesekiel sowie die zwölf kleinen Prophetenbücher umfasst.

Man sollte erwähnen, dass in griechischer Sprache deutlich jüngere Manuskripte erhalten sind: Der Codex Alexandrinus (ca. 450 n. Chr.) enthält das gesamte Alte Testament und den größten Teil des Neuen Testaments. Der Codex Vaticanus (ca. 350 n. Chr.) überliefert ebenfalls fast das komplette Alte und Neue Testament. Mit diesen Septuaginta-Codizes liegt uns ein zweiter Überlieferungs-Strang vor, der für die Beseitigung so mancher Unklarheit von entscheidender Bedeutung ist. Doch es sind und bleiben eben nur Übersetzungen des hebräischen Originals.

Der Zeitabstand zwischen der Original-Abschrift und der ältesten erhaltenen Kopie beträgt bei den masoretischen Texten also mindestens 1.300 Jahre, das ist etwa so viel wie bei den klassischen Texten der Antike. Ein unerwarteter Befund: Die vorhandenen Manuskripte des Neuen Testaments sind über 1.000 Jahre älter als die des Alten Testaments! Glücklicherweise hat die Archäologie in jüngerer Zeit einen ganz erstaunlichen Fund mit hebräischen Bibeltexten aus vorchristlicher Zeit hervorgebracht, an denen man die Qualität der Bibel-Überlieferung überprüfen kann: Die Schriftrollen von Qumran.

Die Schriftrollen von Qumran

Mein Besuch der Höhlen von Qumran in Israel im Jahr 2012

Im Frühling 1947 fand der Beduine Muhammed edh-Dhib am Steilhang an der Westküste des Toten Meeres eine Höhle, in der sich zahlreiche Tonkrüge mit Schriftrollen und zahlreichen Fragmenten befanden. Es stellte sich heraus, dass hier von fast jedem Buch des Alten Testaments zumindest Bruchstücke erhalten waren.

Der zweifellos bemerkenswerteste Fund in Qumran ist die über 7 Meter lange, vollständig erhaltene Große Jesaja-Rolle (1QIsaa). Das Prachtstück lässt sich entweder im Israel-Museum von Jerusalem bestaunen, oder im Internet als digitale Kopie. Schreibstil und Typografie der Pergamentrolle weisen auf eine Entstehung im ersten oder zweiten Jahrhundert vor Christus (Faszination Jesus, S. 231). Radiokarbon-Tests in den Jahren 1991 und 1994 bestätigten diese Einschätzung (James C. VanderKam & Peter Flint, The Meaning of the Dead Sea Scrolls, New York 2002, S. 28–29).

Das Manuskript der Großen Jesaja-Rolle ist über 1.000 Jahre älter, als alles, was wir zuvor besaßen! Bis heute ist es die älteste erhaltene Handschrift eines kompletten Bibel-Buches.

Die wirkliche Sensation offenbart sich aber erst durch einen Vergleich mit den masoretischen Handschriften des Mittelalters: Mehr als 95% des Textes sind Wort für Wort identisch! Die 5% Abweichung kommen in der Hauptsache durch offensichtliche Schreibfehler oder Rechtschreib-Varianten zustande (Gleason Leonard Archer, A Survey of Old Testament Introduction, Chicago 1978, S. 25). Das bedeutet, der Text blieb über 2.000 Jahre lang quasi unverändert. Angesichts dieser Sorgfalt ist davon auszugehen, dass auch die anderen Texte der hebräischen Schriften sehr zuverlässig überliefert worden sind.

Inspiriert von Gott?

Die biblischen Bücher verfolgen sowohl einzeln als auch zusammen genommen eine schlüssige Handlung. Die Texte liefern ein stimmiges Bild von Gottes Plan mit unserer Welt, der sich wie ein roter Faden vom Buch Genesis bis zur Johannes-Apokalypse zieht. Das ist äußerst erstaunlich und hat schon vielfach zu der Vermutung beigetragen, dass die Heilige Schrift indirekt von nur einem Autor stammt – von Gott selbst. Zwar wurde sie von Menschenhand geschrieben, aber die Autoren verstanden sich selbst (zumindest teilweise) als von Gottes Geist geleitet:

„Alle Schrift [d. h. der Tanach] ist von Gott eingegeben …“

2. Brief des Paulus an Timotheus, Kapitel 3,16 ELB

Zu der Frage, inwiefern die Bibel das Wort Gottes ist, gibt es hier eine gründliche Abhandlung.