
Vom Wesen der Gottheit
Die Lehre der Dreieinigkeit, Dreifaltigkeit oder Trinität wagt den Versuch, Gottes Persönlichkeit in menschlichen Worten zu definieren. Demnach sei Gott ein Wesen, das sich aber in drei Personen äußert: Dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Doch wie hilfreich ist diese kühne Systematik wirklich?
Eine direkte biblische Lehre ist die Trinität nicht. Der Begriff selbst kommt in der Bibel nicht vor und es wird auch nirgendwo beschrieben, was damit gemeint ist. In der modernen Bibel-Wissenschaft ist man zu der Einsicht gelangt, dass die Heilige Schrift lediglich einige „trinitarische Formeln“ enthält, aus denen für sich genommen aber kein Wesenszug Gottes abgeleitet werden kann.
Jesus nannte seinen Vater, den allmächtigen Schöpfer JHWH (sprich: Jahweh oder Jehwah), ausdrücklich größer als sich selbst (Johannes 14,28). Andererseits wird Jesus Gott gleich genannt (Johannes 5,18) und selbst als Schöpfer bezeugt (Kolosser 1,16+17). Für viele ist das Grund genug, ihn als Gott zu verehren. Da es freilich nur einen wahren Gott gibt, entsteht daraus ein schwerwiegendes Logikproblem, das auch im athanasianischen Glaubensbekenntnis der großen Kirchen zum Ausdruck kommt: „Denn wie uns die christliche Wahrheit zwingt, jede Person einzeln für sich als Gott und als Herrn zu bekennen, so verbietet uns der katholische Glaube, von drei Göttern oder Herren zu sprechen.“ Aber zwingt uns die „christliche Wahrheit“ wirklich dazu?
Mit diesem Beitrag kann und möchte ich keine Aussage darüber treffen, ob die Trinität wahr oder falsch ist. Darüber wurde und wird schon mehr als genug gestritten. Stattdessen möchte ich versuchen, die entscheidenden Bibeltexte gründlich und neutral zu analysieren, sodass jeder seine eigenen Schlüsse ziehen kann. Darüber hinaus möchte ich in einem gewissen Rahmen die Wichtigkeit der Trinitätslehre in Frage stellen.
Es gibt nur einen Gott
Ich kann sehr gut verstehen, wenn Juden oder Muslime die Dreieinigkeit als Polytheismus (Mehrgottglaube) bezeichnen, der schlimmsten aller Sünden. Deshalb zunächst ein paar Worte der Klarstellung: Ich glaube nicht an mehrere Götter, und auch die Trinitätslehre sagt deutlich, dass es nur einen Gott gibt. Das steht in völliger Übereinstimmung mit dem wichtigsten Glaubens-Grundsatz der Juden:
„Höre, Israel, JHWH ist unser Gott, JHWH allein.“
Deuteronomium (5. Buch Mose), Kapitel 6,4
Die Trinitätslehre sagt allerdings auch, dass dieser eine Gott aus drei Personen („Hypostasen“) besteht, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist, aber trotzdem nur eines Wesens (eine Substanz) ist. Ferner seien die drei Personen zwar verschieden, bilden aber eine unauflösbare Einheit. Der Sohn Jesus Christus und der Heilige Geist seien dem Vater JHWH auch nicht untergeordnet, sondern von gleicher Göttlichkeit. Häufig wird daraus gefolgert, dass Jesus JHWH ist. Aber das sagt die Trinitätslehre nicht, sie bestreitet es sogar. Und trotzdem, so das Dogma, seien alle drei Personen der einzig wahre Gott. Wie kann das sein?
Der Personenbegriff ist dem antiken Theater entnommen und meint dort eine Maske oder Rolle. In der Philosophie wird damit die individuelle (unteilbare), in sich ruhende Wirklichkeit eines Wesens beschrieben. Die Dreieinigkeitslehre sagt nicht, dass sich eine Person (Gott) in drei verschiedenen Erscheinungsformen äußert, wie etwa ein Schauspieler drei verschiedene Masken tragen kann (das wäre Monarchianismus). Sondern sie sagt, dass drei Personen vollständig ein Gott sind. Wir verknüpfen mit JHWH’s Anspruch, der einzige Gott zu sein, automatisch das griechische Personen-Denken und schließen daraus, dass ein Gott auch eine Person sein muss. Wir können aber nicht definieren, wie Gott zu sein hat. Was erdreisten wir uns, Gott etwas Irdisches und Fleischliches anzudichten? Warum sollte Gott eigentlich aus nur drei Personen bestehen? Vielleicht ist Gott unendlich viele Personen, aber nur zwei oder drei hat er uns offenbart? Wir dürfen JHWH niemals mit unserer eigenen Individualität vergleichen, damit kämen wir zu einem verfehlten Gottesbild, ähnliche wie sich viele Heidenvölker äußerst menschenähnliche Götter erdachten. Vielleicht verbietet JHWH deshalb im zweiten der zehn Gebote, irgendeine Art Bildnis von ihm zu machen (Exodus 20,2-4) – wir wären damit schlicht und ergreifend überfordert.
Die Konzile von Nicäa und Konstantinopel
Zu einer ernsten Streitfrage wurde die Trinitätslehre erstmals im Jahr 318 n. Chr., als in Alexandria ein Priester namens Arius gegenüber dem Bischof Alexander erklärte, dass es eine Zeit gab, in der Jesus nicht existierte und somit Teil der Schöpfung war (Subordinatianismus). Die Debatte eskalierte und drohte in der Folgezeit die gesamte Bevölkerung zu spalten, weshalb der römische Kaiser Konstantin, der ein politisches Interesse an einer Einigung hatte, im Jahr 325 n. Chr. ein Kirchenkonzil in der Stadt Nicäa einberief. Von den 1.800 eingeladenen Bischöfen erschienen nur etwa 300, fast alle aus dem Osten des Reiches und mehrheitlich Gegner der Trinitätslehre. Man vermutet, dass die restlichen Bischöfe aus Protest nicht kamen, weil sie befürchteten, dass Konstantin sowieso eine Lösung nach seinen eigenen Vorstellungen durchsetzen würde. Und so kam es auch.

Nach drei Monaten hitziger Diskussionen beendete der Kaiser die Debatte mit der Aussage, dass „der Sohn eines Wesens mit dem Vater“ sowie „gezeugt und unerschaffen“ sei. Allen Anhängern des Arius („Arianern“) wurde mit der Exkommunikation gedroht, falls sie diesem Glaubensbekenntnis nicht zustimmen würden. So kam es, dass alle anwesenden Bischöfe die Formulierung unterzeichneten, abgesehen von zweien, die daraufhin zusammen mit Arius verbannt wurden. Ihre Theologie wurde als Häresie verurteilt, alle arianischen Schriften verboten und auf ihren Besitz die Todesstrafe gestellt. Doch der arianische Streit war damit nicht beendet.
Als Konstantin der Große im Jahr 337 n. Chr. starb, fand die nicht-trinitarische Sicht wieder größere Zustimmung, auch durch den Einfluss des arianischen Kaisers Valens, der im Ostreich an die Macht kam. Erst im Jahr 381 berief der neue, trinitarisch getaufte Kaiser Theodosius ein Konzil in der Hauptstadt Konstantinopel ein, auf dem das nicäische Glaubensbekenntnis von 150 Bischöfen überarbeitet wurde. Daraus ging das Nicäno-Konstantinopolitanum hervor, das Jesus „eines Wesens mit dem Vater“ nennt und worin auch der Heilige Geist als eine Person der Dreieinigkeit angesehen wird. Es ist das wichtigste christlich-trinitarische Glaubensbekenntnis bis heute.
Auf die Frage, was der heilige Geist Gottes ist, gehe ich aus Platzgründen an dieser Stelle nicht ein. Kurz gesagt: Ich sehe keinen Grund, den Geist als zusätzliche Person der Gottheit zu betrachten. Deshalb geht es im folgenden Text eher um die Frage, inwiefern eine Zweieinigkeit zwischen Jesus und JHWH besteht; um der Kontinuität willen werde ich es aber weiterhin als Dreieinigkeit bezeichnen.
Zu wem sollen wir beten?
Falls du ein gläubiger Mensch bist, sollte die Frage nach der Dreieinigkeit ganz konkrete Auswirkungen darauf haben, zu wem du betest. Viele trinitarische Christen unterscheiden im Gebet kaum oder gar nicht zwischen Jesus und JHWH. Das führt gelegentlich zu sehr skurilen Formulierungen: „Jesus, du bist ein großer Gott und ich danke dir, dass du deinen Sohn auf die Erde geschickt hast, …“ (Habe ich wörtlich so gehört). Hat der Sohn Jesus etwa auch wieder einen Sohn? Nicht wenige beten auch zum Heiligen Geist und manche sogar zur Jungfrau Maria (Blasphemie!), obwohl es dafür kein einziges biblisches Beispiel gibt. Kurz gesagt, die Trinitätslehre sorgt im Gebet für enorme Verwirrung. Da ich den Geist Gottes nicht als Person sehe, bleibt eigentlich nur die Frage: Sollte man Jesus anbeten? Eine Antwort darauf liefert Stephanus, ein Nachfolger Jesu, der mit seiner Predigt einen Haufen Juden gegen sich aufbrachte. Von ihm steht geschrieben:
„Er aber, voll heiligen Geistes, blickte zum Himmel empor und sah die Herrlichkeit Gottes, und Jesus zur Rechten Gottes stehen; …“
Apostelgeschichte, Kapitel 7,55
Für seine ohnehin schon wütenden Zuhörer war das Anlass genug, ihn zu steinigen. Doch dann ruft er im Augenblick seines Todes: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (Apostelgeschichte 7,59). Der erste christliche Märtyrer hatte in seiner Vision Jesus und JHWH als voneinander getrennte Individuen gesehen, und er hatte offensichtlich kein Problem damit, Jesus anzusprechen. Auch für Paulus schien das normal zu sein, denn er grüßt in seinem Brief an die Korinther alle, „die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“. (1. Korinther 1,2). Aber jemanden im Gebet anzusprechen ist etwas anderes, als ihm die Anbetung des einzig wahren Gottes zu erweisen. Ob Stephanus und die Korinther Letzteres taten, wissen wir nicht.
Ein weiterer Jesus-Jünger namens Thomas konnte zunächst nicht glauben, dass sein Lehrer wirklich von den Toten auferstanden war, doch als er sich überzeugt hatte, bekannte er gegenüber Jesus: „Mein Herr und mein Gott!“ (Johannes 20,28). Häufig wird argumentiert, der Zweifler habe das nicht in Bezug auf Jesus gesagt, sondern als Ausruf des Entsetzens. Das kann zwar nicht mit letzter Gewissheit entschieden werden, doch mir scheint es plausibler, dass Thomas wirklich den Auferstandenen als „seinen Gott“ bezeichnete – und Jesus widersprach nicht, denn Thomas hatte natürlich recht: Die ganze Fülle der Gottheit wohnte in Jesus (Kolosser 2,9), und wer ihn sah, sah Gott (Johannes 12,45). Aber das bedeutet nicht, dass die Person Jesus als einzig wahrer Gott angebetet werden sollte. Thomas sah Gott sozusagen durch Jesus hindurch.
In der Bibel wird mehrfach berichtet, wie Personen vor Jesus niederfielen, wohl mit der Absicht, „ihn anzubeten“, wie es in vielen deutschen Übersetzungen wiedergegeben wird (z. B. Matthäus 14,33; Lukas 24,52 und Johannes 9,38). Allerdings ist die Grundbedeutung des Verbs prosekynēsan, das hier im griechischen Originaltext steht, nur „niederfallen“. Es kann zwar durchaus „Anbetung“ bedeuten, beispielsweise, als sich Jesus mit einer samaritischen Frau darüber unterhielt, wo der richtige Ort zum Gebet sei (Johannes 4,19). Jesus hat das selbe Wort aber auch in seinem Gleichnis vom Schalksknecht verwendet, in dem der Knecht seinem König zu Füßen fällt (Matthäus 18,26). Damit ist eindeutig nur eine gesellschaftliche Gepflogenheit gemeint. Nicht eine deutsche Bibel-Übersetzung schreibt hier „anbeten“, sondern nur „zu Füßen fallen“ oder „huldigen“. Der Kontext definiert also die korrekte Übersetzung, und deshalb kann hier nicht entschieden werden, ob Jesus wirklich wie Gott angebetet wurde, oder ob ihm nur wie einem König gehuldigt wurde.
Um die Frage trotzdem abschließend zu klären, möchte ich Jesus für sich selbst sprechen lassen. Der Gottessohn lehrte eigentlich unmissverständlich: „Betet ihr nun so: Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; …“ (Matthäus 6,9) Und weiter: „Was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird er euch geben“ (Johannes 16,23).
Ich möchte nicht sagen, dass es falsch ist, zu Jesus zu beten. Jesus wird schließlich als der (Ver-)Mittler zwischen Gott und den Menschen bezeichnet (1. Timotheus 2,5), und er kann unsere Bitten sicher an die höchste Instanz weiterleiten. Allerdings stellte er selbst klar, dass wir zwar in seinem Namen beten sollen (d. h. uns auf Jesus berufen sollen), aber dass wir zum Vater beten sollen, und das ist JHWH.
Und das Wort war Gott
Einer der bekanntesten und wichtigsten Texte zur Göttlichkeit Jesu findet sich im Prolog des Johannes-Evangeliums. Darin erfahren wir, wie ein mysteriöses Wort von Gott kommt und schließlich zu einem Menschen wird. Der spätere Zusammenhang macht deutlich, dass mit dem Wort eindeutig Jesus Christus gemeint ist. Von ihm wird gesagt:
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles wurde durch dasselbe, und ohne dasselbe wurde auch nicht eines, das geworden ist. […] Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, …“
Evangelium nach Johannes, Kapitel 1,1-3ff (Elberfelder Übersetzung)
Der Evangelist verwendet im Griechischen für Wort den Begriff Logos, was auch Sinn oder Verstand bedeuten kann. Die hebräische Entsprechung des Logos ist Memra, eine Art Vernunftsprinzip, aus dem alle Tätigkeit hervorgeht. Es ist die von Gott ausgehende, auf die Welt bezogene Schöpferkraft. In den jüdisch-aramäischen Übersetzungen der hebräischen Bibel (den Targumim) dient es als Umschreibung Gottes, wann immer dieser beispielsweise als Engel des Herrn erscheint oder zu Menschen spricht. Man wollte damit eine anthropomorphe (menschen-ähnliche) Darstellung des Ewigen vermeiden. Dieses Konzept war Johannes gewiss bekannt und er bezog es bewusst auf Jesus.
Wenn Jesus nun dieses Wort ist, könnte man in der Aussage „das Wort war Gott“ einen Beweis dafür sehen, dass Jesus und JHWH der selbe Gott sind. Es gibt da nur ein grammatisches Problem: Im alten Koine-Griechisch gibt es keine unbestimmten Artikel. Fehlt der bestimmte Artikel vor einem Wort, kann deshalb in einer deutschen Übersetzung der unbestimmte Artikel eingefügt werden, wenn es der Kontext verlangt. Deshalb ist beispielsweise in der Bibelübersetzung Neue Welt (herausgegeben von Zeugen Jehovas) zu lesen: „Das Wort war ein Gott.“ Das verändert die Aussage des Satzes erheblich. Um zu entscheiden, wie der Text wirklich gemeint ist, kommen wir an einer Wort-für-Wort-Übersetzung aus dem Griechischen nicht vorbei. Hier zitiert nach Westcott & Hort (1881), The New Testament in the Original Greek:
En arche en ho logos / kai ho logos en pros ton theon / kai theos en ho logos
Im Anfang war das Wort / und das Wort war bei dem Gott / und Gott war das Wort
Im letzten Satzteil gibt es zwei Nominative: theos und logos. Um zu unterscheiden, welches der beiden Nominative das Subjekt ist und welches das Prädikatsnomen, gibt es eine einfache Regel: Das Subjekt hat den bestimmten Artikel, das Prädikatsnomen nicht. (Nach Reto Schoch (2000), Griechischer Lehrgang zum Neuen Testament, S. 31.) Da logos jedes Mal den Artikel vor sich hat, muss es das Subjekt sein und theos das Prädikatsnomen.
Auf dieser Grundlage hat im Jahr 1933 ein Mann namens Ernest Cadman Colwell versucht, eine weitere griechische Grammatikregel zu etablieren. Er schlug vor, dass ein Prädikatsnomen einen bestimmten Artikel haben kann, wenn es dem Verb folgt, aber keinen Artikel hat, wenn es dem Verb vorausgeht, was hier der Fall ist. (Siehe Journal of Biblical Literature (1933), Vol. 52, S. 20.) Demnach sei theos ein bestimmter Nominativ, aber ohne Artikel, weil es auch ein Prädikatsnomen ist. Das spräche für die trinitarisch geprägte Übersetzungsweise „das Wort war [der] Gott“. Allerdings hat Colwell eingestehen müssen, dass der Kontext Ausnahmen dieser Regel verlangen kann.
40 Jahre später nahm ein anderer Theologe, Philip B. Harner, darauf Bezug: „Colwell war die meiste Zeit mit der Frage beschäftigt, ob artikellose Prädikatsnomen nun bestimmt oder unbestimmt sind, aber er hat sich nicht ausführlich genug mit dem Problem ihrer qualitativen Bedeutung befasst“. (Journal of Biblical Literature (1973), Vol. 92, S. 75-87.) Harner zeigt, dass ein artikelloses Prädikatsnomen, wenn es wie hier einem Verb vorausgeht, eine eindeutig qualitative Kraft hat, die bedeutender ist als seine Bestimmtheit oder Unbestimmtheit: „Ich glaube, dass in Johannes 1,1 die qualitative Bedeutung des Prädikats so dominant ist, dass man das Nomen nicht als bestimmt ansehen kann.“ Mit anderen Worten: Das ohne Artikel stehende theos ist eine qualitative Aussage, etwa „das Wort war [wie] Gott“. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass diese (nicht-trinitarische) Deutung den Kern der Sache am besten trifft.
Wenn nun theos eine qualitative Bezeichnung ist, könnte man auch auf die Idee kommen, „das Wort war göttlich“ zu übersetzen. Aber das wäre zu schwach. Jesus ist nicht einfach nur „von göttlicher Art“ wie die Engel. Er ist mehr. Der schottische Theologieprofessor William Barclay stellte fest: „Als Johannes sagte, ‚Das Wort war Gott‘ sagte er nicht, dass Jesus mit Gott identisch ist, sondern er sagte, dass Jesus in seinem Sinn und Herz so vollkommen gleich ist wie Gott, dass wir in Jesus perfekt sehen können, wie Gott ist.“ (The Daily Study Bible – The Gospel of John [Revised Edition] (1975), Vol. 1, III.) Hätte Johannes sagen wollen, Jesus sei bloß göttlich, hätte er wohl das griechische Wort dafür verwendet, nämlich theios. Hat er aber nicht.
Was ist ein Elohim?
Ein weiterer, häufiger Streitpunkt in der Trinitätsfrage kreist um die Verwendung des Gottesbegriffs. Das deutsche Wort Gott klingt für christliche Ohren ziemlich exklusiv. Aber beinhalten die griechischen und hebräischen Worte für Gott die gleiche Exklusivität? Werfen wir dazu einen Blick in den Hebräerbrief. Im ersten Kapitel argumentiert der Autor – vielleicht Paulus – dass Jesus größer ist als die Engel. Das Ergebnis ist leider etwas kompliziert, aber im Endeffekt geht daraus hervor, dass JHWH seinen Sohn Jesus zwei Mal mit Gott anspricht:
Von den Engeln zwar sagt er [JHWH]: ‚Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen‘; aber von dem Sohn: ‚Dein Thron, o Gott, währt von Ewigkeit zu Ewigkeit. […] Du hast Gerechtigkeit geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat dich, o Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gefährten!'“
Brief an die Hebräer, Kapitel 1,7-9 (Schlachter-Übersetzung)
Schauen wir uns das ganze mal im griechischen Text an. Dort steht im ersten Satzteil wörtlich übersetzt: „ho thronos sou ho theos“ („der Thron dein der Gott“). Da im antiken Griechisch sprichwörtlich ohne Punkt und Komma geschrieben wurde, kann man auch legitim übersetzen: „Dein Thron ist Gott“. Auch der zweite Satzteil darf aufgrund der fehlenden Interpunktion alternativ wiedergegeben werden: „Darum hat dich Gott, dein Gott, gesalbt“. Mit dieser Übersetzung wird Jesus nicht mehr Gott genannt. Da aber beide Übersetzungsmöglichkeiten absolut möglich sind, wäre jede darauf aufgebaute Argumentation sehr unsicher und angreifbar.
Viel wichtiger ist folgendes: Der Text ist eigentlich ein Zitat aus dem Buch der Psalmen; dort ist es ein Liebeslied für einen unbekannten König, vielleicht Salomo. Zwar hat der Verfasser des Hebräerbriefs aus der Septuaginta zitiert (der griechischen Übersetzung des Alten Testaments), aber der Original-Psalm ist hebräisch. Um ein besseres Gefühl für diese Sprache zu bekommen, möchte ich das hebräische Wort für Gott – Elohim – einmal unübersetzt lassen:
„Dein Thron, o Elohim, bleibt immer und ewig; […] Du liebst die Gerechtigkeit und hasst die Gesetzlosigkeit, darum hat dich, o Elohim, dein Elohim gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gefährten.“
Psalm 45,7+8 (Schlachter-Übersetzung mit Anpassung des Gottestitels)
Der Plural Elohim („Götter“) wird in der hebräischen Bibel auf mindestens drei verschiedene Weisen verwendet. Üblicherweise bezeichnet es den allmächtigen Gott JHWH, aber es kann auch als „Artenbezeichnung“ gebraucht werden. Das bedeutet, manche Personen sind von ihrerm Wesen her Mensch und andere Elohim, also „Gott“ oder „göttlich“. Beispielsweise heißt es in Psalm 8,6: „Du hast ihn [den Menschen] ein wenig niedriger gemacht als Elohim“, und der Autor des Hebräerbriefs stellt fest, dass damit Engel gemeint sind (Hebräer 2,7). Noch deutlicher berichtet Psalm 82,1, wie der eine Elohim (JHWH) in der Versammlung der Mächtigen über andere Elohim richtet.
Als dritte Möglichkeit kann Elohim auch noch ein Titel sein, wie etwa König oder Chef. Als Mose sich aus Furcht weigerte, in JHWH’s Auftrag zum Volk Israel zu sprechen, sandte Gott ihm seinen Bruder Aaron als Unterstützung mit. Zu Mose sagte JHWH: „Er [d.h. Aaron] soll für dich zum Volk reden, so wird er dein Mund sein, und du sollst für ihn Elohim sein“ (Exodus 4,16). In vielen deutschen Übersetzungen steht hier, dass Mose für Aaron „an Gottes Stelle“ oder ein „Gotteswerkzeug“ sein soll. Jedenfalls definiert das Wort nur das Verhältnis zwischen Mose und Aaron, aber Mose wird dadurch nicht Gott.
Sehr wahrscheinlich wird Elohim im obigen Psalm 45 als Titel verwendet: Für die Psalmschreiber ist der König ein Elohim, aber für den König ist Gott ein (bzw. der) Elohim. Die Söhne Korahs, von denen der Psalm stammt, waren Juden und damit strenge Monotheisten. Sie werden den König, für den das Lied gedacht war, kaum als „Gott“ im Sinne des Schöpfers bezeichnet haben. Der gesamte Psalm handelt vom König. Aus Vers 3 geht hervor, dass der König von Elohim gesegnet wurde, das heißt der König und der wirkliche Gott werden klar unterschieden. Es wäre ein seltsamer Stilbruch, wenn sich die Verse 7+8 plötzlich nicht mehr auf den König beziehen würden, sondern auf JHWH. Der Schreiber des Hebräerbriefs identifiziert den unbekannten König mit Jesus, aber es ist unwahrscheinlich, dass er Jesus für den einzig wahren Gott hielt.
Übrigens: Manchmal wird argumentiert, die Verwendung der Mehrzahl (Elohim) weise auf eine Trinität hin, denn eigentlich würde man den Singular Eloah erwarten. Doch das ist ein konstruiertes Argument. Die Mehrzahl kann ganz simpel durch den Pluralis Majestatis (Majestätsplural) erklärt werden, wie wir etwa „Eure Exzellenz“ sagen. Eine weitere Möglichkeit wäre der Pluralis Deliberationis, dann handelt es sich um eine Art Selbstberatung oder Absichtsbekundung.
Mein Gott, wozu hast du mich verlassen?
Jesus wusste, dass seine Konfrontation mit den jüdischen Machthabern zu seinem Tod durch Kreuzigung führen würde, und dass er diesen „Kelch des Leids“ vollständig würde leeren müssen. Als seine Zeit gekommen war, zog er sich mit seinen engsten Vertrauten zurück in einen abgelegenen Garten namens Gethsemane und betete zu seinem Vater JHWH:
„Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“
Evangelium nach Lukas, Kapitel 22,42
Der Sohn hat seinen Willen dem des Vaters vorbehaltlos unterworfen. Das ist der Grund, warum wir in Jesus exakt das Handeln des Vaters sehen können. Dieses Gebet zeigt jedoch auch, dass Jesus einen eigenen Willen zu haben scheint. Jesus hat außerdem nicht das umfassende Wissen des Vaters. Das gibt er selbst zu, als seine Jünger ihn nach dem Ende der Welt fragten:
„Um jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater.“
Evangelium nach Markus, Kapitel 13,32
Wenn nun Vater und Sohn einen unterschiedlichen Willen und ein unterschiedliches Wissen haben, kann man sie dann wirklich als ein Wesen bezeichnen? Aber es kommt noch paradoxer. Jesus letzte Worte sind ein Hauptgrund dafür, dass ich mit dieser Abhandlung die Relevanz (nicht die Richtigkeit) der Trinitätslehre in Frage stelle. Markus, der Begleiter des Petrus, überliefert uns folgendes über die letzten Minuten, in denen Jesus lebend am Kreuz hing:
„Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloi, eloi, lema sabachtani!, das heisst: Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen!“
Evangelium nach Markus, Kapitel 15,34 (Zürcher Bibel)
Dieser letzte Ausruf Jesu ist mit der Prämisse, er sei eines Wesens mit JHWH, kaum zu verstehen. Das gilt natürlich auch für alle anderen Situationen, in denen Jesus zu seinem Vater betet, denn er wird wohl kaum Selbstgespräche führen. Aber an dieser besonders verwirrenden Stelle wird er sogar von JHWH verlassen!
Natürlich kann sich ein Wesen nicht selbst verlassen, aber eine Person kann eine andere verlassen. Wenn die Gottheit zwei oder mehr Personen ist, wäre es zwar denkbar, dass sie irgendwie innerlich zerrissen wurde, aber andererseits – so das Dogma – ist jede einzelne Person vollständig Gott, nicht nur ein Teil von ihm. Sollte dann der wahre Gott, also auch der Vater, am Kreuz gestorben sein? Diese extreme Sicht nennt man Modalismus oder Patripassianismus, aber damit handelt man sich noch schwierigere theologische Probleme ein. Wenn Gott wirklich vollständig tot war, wer hat ihn dann wieder zum Leben erweckt? Es bleibt dabei: Jesu Tod und seine Gebete zum Vater sind mit dem Paradigma der Trinität nicht befriedigend zu erklären.
Schlussfolgerung
Wie schon anfangs erwähnt, werde ich hier keine Entscheidung fällen, was richtig oder falsch ist, da vermutlich jede menschliche Beschreibung Gottes den Tatsachen nicht gerecht wird. Ich sehe die Dreieinigkeit als eine Art Modell, das uns in manchen theologischen Fragen helfen kann. Andererseits spüre ich auch schmerzhaft gewisse Nachteile dieses Modells.
In vielen evangelischen Freikirchen ist eine gewisse „Christus-Zentriertheit“ nicht zu übersehen. Die Menschen beten zu Jesus, singen für Jesus und glauben an Jesus, denn er ist der „gute Gott“, der unser Freund und Bruder sein möchte. Doch JHWH, der ehrfurchtgebietende Schöpfer, der „böse Gott“, in dessen Macht es steht, ganze Völker auszulöschen, spielt nur eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle. Da er in der Dreieinigkeit mit Jesus „verschmilzt“, wurde er sozusagen wegerklärt und geht in Jesus auf. Das ist für die eigene Wohlfühl-Theologie vielleicht ganz praktisch, aber sicher nicht im Sinne Jesu, der stets darauf bestand, dass JHWH verherrlicht und angebetet wird. Ich möchte damit keineswegs die Bedeutung Jesu schmälern. Jesus ist für uns Menschlein der einzige Weg und die Tür zum Vater, das hat er selbst gesagt. Wir sollten nur nicht auf diesem Weg stehen bleiben. Lasst JHWH die Ehre zukommen, die ihm gebührt.
Ein zweites Problem mit der Dreieinigkeit besteht darin, sie Menschen nahezubringen. Wenn ich einem Atheisten oder Andersgläubigen von meinem Gott erzähle und damit anfange, dass er einen Sohn hat, aber dieser Sohn eigentlich auch Gott ist, würde ich auf großes Unverständnis stoßen. Für einen Juden oder Muslim ist es schon schwer genug zu akzeptieren, dass Gott einen Sohn hat. Die Dreieinigkeitslehre hingegen macht den Dialog beinahe unmöglich. Warum soll man die Dinge komplizierter machen, als sie ohnehin schon sind? Ich behaupte, dass man die gesamte Bibel sehr gut ohne Trinitätslehre lesen und verstehen kann, was ich hoffentlich an ein paar wichtigen Stellen exemplarisch zeigen konnte. Wenn aber ein Modell nicht notwendig ist und nicht mit Gewissheit richtig, warum verwenden wir es dann?
Zuletzt möchte ich alle Christus-Nachfolger zur Einheit und konstruktivem Austausch untereinander herausfordern, ganz gleich welche Sicht auf die Dreieinigkeit jemand hat. Jesus Christus ist der Sohn Gottes und unser Erlöser vom Tod, das allein zählt und verbindet.
„Es geht mir darum, dass ihr gestärkt und ermutigt werdet und dass ihr in Liebe zusammenhaltet. Dann werdet ihr eine tiefe und umfassende Erkenntnis erlangen, ein immer größeres Verständnis für das Geheimnis Gottes. Christus selbst ist dieses Geheimnis; in ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen.“
Brief des Paulus an die Kolosser, Kapitel 2,2+3 (Neue Genfer Übersetzung)