Vom Reich der Himmel und ewigem Feuer – Was dürfen wir hoffen?

Angesichts einer chaotischen, komplizierten Welt sehnen sich Menschen nach Sicherheit. Wie wird die Geschichte enden? Was wird aus uns, wenn wir gestorben sind? Und bietet die Bibel überhaupt eine kongruente Antwort darauf?

Wie jeder auf seine Weise selig wird …

Christliche Gemeinschaften haben sehr kontroverse Meinungen zum Leben nach dem Tod. Auch über die Zukunft des Planeten wird heiß diskutiert. Als Außenstehender kann man da schon den Eindruck bekommen, die Bibel sei so mehrdeutig, dass sie als Orientierung wertlos ist. Meiner Erfahrung nach sind die Bibeltexte in den entscheidenden Fragen aber ziemlich klar. Das Problem ist nur, dass wir mit ganz unterschiedlichen Prämissen und Prägungen an sie herantreten.

In evangelikalen Gemeinden überwiegt die pessimistische Vorstellung, Menschen seien grundsätzlich böse und die Erde nicht mehr zu retten. Falls wir uns nicht selbst vernichten, wird Gott das durch Feuer vom Himmel übernehmen. Alle „Sünder“ werden dann auf nicht endende Zeit in einer unbeschreiblich grausamen Hölle gequält. Die „Gläubigen“ hingegen werden in einen fernen Himmel entrückt, wo sie fortan ihrem Gott Anbetungslieder singen. Daher sei die oberste Aufgabe der Christen, möglichst die ganze Welt zu bekehren und zu taufen, um sie vor der Hölle zu „retten“.

Das sehen bei weitem nicht alle so. Weltoffenere, liberale Gemeinden haben durchaus Hoffnung für unseren Planeten und würden die Rede von der Hölle lieber als Metapher verstehen. Dagegen können sich in der katholischen Kirche sogar Gläubige zu Reinigungszwecken in einem jenseitigen Fegefeuer wiederfinden. Und Zeugen Jehovas lehren, dass mit „Hölle“ die endgültige Auslöschung der Sünder gemeint ist, während die Gläubigen nach dem Tod auf einer neuen Erde leben. Nicht zu vergessen, dass es dazwischen auch noch alle möglichen Abstufungen und Spielarten gibt.

Dabei berufen sich alle auf die Bibel! Wie kann das sein?

Gottes Zielrichtung

Der Geist Gottes steckt in der Bibel, aber was bedeutet das? (c) Jeff Jacobs, Pixabay.com

Die vielen unterschiedlichen Perspektiven gehen meiner Ansicht nach auf nur eine Vor-Entscheidung zurück, die wir treffen, bevor wir die Heilige Schrift überhaupt zu lesen begonnen haben: Ist die Bibel das direkt an uns gerichtete Wort Gottes? Oder müssen wir sie zunächst in ihrem historischen Kontext verstehen und daraus Gottes Wort „extrahieren“?

Wer in der Bibel eine vollständig von Gott inspirierte Bedienungsanleitung für das persönliche Leben sieht, wird jedes Wort auf die Goldwaage legen. Jeder einzelne Vers ist dann genau gleich wichtig und zeitlos gültig. Durch diese Herangehensweise stößt man sehr schnell auf garstige Widersprüche. Zum Beispiel: Gelangt ein Mensch durch reinen Glauben (Römer 3,28) oder durch gute Werke (Jakobus 2,14) zu Gott? Ist die Zukunft der Gerechten im Himmel (Philipper 3,20) oder auf Erden (Lukas 22,30)? Gibt es im Totenreich Bewusstsein (Lukas 16,19ff) oder nicht (Prediger 9,10)? Solche Ungereimtheiten wollen erklärt werden, und das tut jede christliche Strömung auf eine andere Weise. So entsteht der bunte Strauß an Interpretations-Möglichkeiten.

Dem gegenüber lässt sich bei genauer Betrachtung der kulturellen und ideellen Hintergründe jeder einzelne Bibeltext recht genau einordnen und aus seiner Zeit heraus verstehen. Dabei müssen die einzelnen Dokumente nicht in allen Punkten exakt übereinstimmen; tatsächlich wäre das sogar ziemlich seltsam. Stattdessen zeigt sich insgesamt eine fortschreitende Entwicklung. Wir erleben in den Bibeltexten, wie Menschen von Gott herausgefordert werden und voneinander lernen und aufeinander aufbauen. Während die Menschen je nach Epoche ganz unterschiedliche Erkenntnis-Horizonte hatten, bleibt Gottes Zielrichtung stets dieselbe. Sie ist denkbar einfach: Ein gutes Leben ermöglichen.

Zur Grundlage hebräischen Denkens

Die vier Reiter der Apokalypse (c) JW.org

Bei der Frage nach den letzten Dingen und der Zukunfts-Hoffnung wird gern die so genannte Johannes-Apokalypse (die „Offenbarung“) zu Rate gezogen. Mit ihren bildgewaltigen Beschreibungen von Dämonen, Drachen, Erzengeln, dem himmlischen Thronsaal und einem Inferno aus Feuer, Donner und Erdbeben scheint dieses letzte und jüngste Buch der Bibel den ultimativen Einblick in göttliche Wahrheiten zu vermitteln. Es birgt aber eine große Gefahr: Nimmt man das epochale Werk mit seinen vielen Symbolen als Basis für die weitere Bibel-Auslegung, kann damit so ziemlich jedes Weltbild begründet werden; das Spektrum reicht von absurd bis verstörend. Ich weiß, wovon ich spreche.

Durch die gesamte Kirchengeschichte war die Apokalypse das wahrscheinlich umstrittenste Buch der Bibel. Bis heute wird es von manchen christlichen Kirchen nicht anerkannt. Daher sollte die Offenbarung keinesfalls zur Grundlage der Bibel-Auslegung werden!

Im hebräisch-jüdischen Denken ist für unser Thema ein ganz anderes Buch die ultimative Referenz: Jesaja, der erste große Schriftprophet. Auch für Jesus Christus war das Jesaja-Buch ein Eckpfeiler seines Glaubens. Er bezog sich in seiner Predigt von der Königsherrschaft Gottes regelmäßig darauf und erkannte sich selbst in den Worten des Propheten (Matthäus 13,14+15; Lukas 4,14-21; 22,37). Daher werde ich Jesajas Perspektive als Grundlage verwenden und zeigen, wie die Autoren des Neuen Testaments daran angeknüpft haben.

Die Johannes-Apokalypse werde ich hier überhaupt nicht als Quelle nutzen. Denn tatsächlich bringt Johannes nicht viel Neues! Stattdessen kleidet er die bekannten Zusammenhänge der hebräischen Bibel und der Evangelien in einprägsame Bilder und fasst alles zusammen. Dass man die Johannes-Offenbarung sogar als „Jesaja 2.0“ verstehen kann, habe ich in meinem Text über das Buch mit Sieben Siegeln zu zeigen versucht.

Beginnen wir also in der Zeit des Hebräers Jesaja, der den Juden Jesus beeinflusste, der wiederum den Christen Paulus beeinflusste.

Jesaja im Kontext

Abguss eines Felsreliefs von Sanherib (c) Timo Roller, Wikipedia.de

Die Kapitel 1–39 des Jesaja-Buches stehen im Kontext assyrischer Eroberungszüge. Im Jahr 722 v. Chr. zerstörte Sargon II. (Šarru-kin) die Hauptstadt Samaria von Nord-Israel (2. Könige 17,5+6), während sein Sohn Sanherib (Sin-ahhe-eriba) um 701 v. Chr. die Hauptstadt Jerusalem von Süd-Israel belagerte, aber nicht einnehmen konnte (Jesaja 37). Da diese Kriege außerbiblisch in Keilschrift-Texten belegt sind, scheint das Jesaja-Buch im Kern tatsächlich von einem historischen Propheten Jesaja ben Amoz zu stammen, der in Jerusalem zur Zeit der israelitischen Könige Usija, Jotam, Ahas und Hiskia großen Einfluss hatte.

In den Kapiteln 40–55 wird die Zerstörung Jerusalems und des dortigen Jahwe-Tempels im Jahr 587 v. Chr. behandelt. Der babylonische König Nebukadnezar II. (Nabu-kudurri-usur) hatte das ganze Land verwüstet und große Teile der Bevölkerung in Gefangenschaft nach Babylon geführt. Das Jesaja-Buch spricht nun in diese Exil-Zeit hinein von Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat und sogar davon, wie das babylonische Weltreich untergeht. Der Perser-König Kyrus II., der im Jahr 539 v. Chr. tatsächlich Babylon eroberte und den Israeliten die Heimkehr gewährte, wird im Bibeltext zwei Mal namentlich (!) erwähnt (Kap. 44,28 + 45,1). Das Problem dabei: Der historische Jesaja lebte zu dieser Zeit längst nicht mehr! Was bedeutet, dass er entweder zu Lebzeiten die Zukunft sehr genau kannte (was auch der Selbstanspruch des Textes ist; vgl. Kap. 46,9–11), oder das Buch wurde von späteren Tradenten weitergeführt. Denkbar wäre auch eine Art „Jesaja-Schule“, die im Sinne des Propheten weitere Texte verfasste und sammelte. In der Bibel-Wissenschaft spricht man für diesen Textteil von Deutero-Jesaja, also „zweiter Jesaja“.

Die Propheten Israels waren Sozialkritiker und Sprachrohre Gottes (c) The Bible Miniseries

Für Kapitel 56–66 nehmen manche Textforscher sogar eine dritte Redaktionsstufe an („Trito-Jesaja“). Es sollte jedoch betont werden, dass das gesamte Jesaja-Buch in sich relativ einheitlich ist. Der Hauptgrund, warum man eine schrittweise Entstehung annimmt, ist schlicht und ergreifend der, dass man echtes Vorher-Wissen der Zukunft (griechisch pro-gnosis) ausschließt.

Der große Rahmen im Jesaja-Buch ist also der Konflikt zwischen dem kleinen Land Israel und den damaligen Weltmächten der Assyrer und Babylonier. Diese Imperien werden als übermächtiger „Feind aus dem Norden“ skizziert (Kap. 14,31), denn aufgrund der damaligen Geografie erfolgte der Einfall stets von Norden. Der Prophet führt das tragische Schicksal seines Volkes auf ihre eigene soziale Ungerechtigkeit zurück, die überall vorherrschte. In den Großmächten sieht er Gottes Werkzeug zur Züchtigung Israels (Kap. 10,5+6; 36,8-10).

Jesajas Zeitgenossen gaben sich fromm, zeigten aber gegenüber ihren Mitmenschen keine Barmherzigkeit. Gottes Botschaft, die der Prophet vermittelt, ist denkbar einfach: Hört auf mit der Heuchelei! Diese Ansage wird direkt zu Beginn des Buches klar formuliert und zieht sich wie ein roter Faden bis auf die letzten Seiten:

„Und wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Auch wenn ihr noch so viel betet, höre ich nicht – eure Hände sind voll Blut. Wascht euch, reinigt euch! Schafft mir eure bösen Taten aus den Augen, hört auf, Böses zu tun! Lernt Gutes tun, fragt nach dem Recht, weist den Unterdrücker zurecht! […]“

Jesaja 1, 15 (ELB)

Allgemeiner formuliert lautet die Botschaft: Wenn ihr gerecht handelt, könnt ihr in eurem Land als freie Menschen leben und es wird euch gut gehen. Wenn ihr dagegen Unrecht tut, werdet ihr verschleppt und müsst einer fremden Nation dienen. Der Prophet setzt das Tun und Ergehen seines Volkes in direkten Zusammenhang.

Die Vision des Jesaja: Zwei Königreiche

Um den Menschen die Konsequenzen ihrer Taten vor Augen zu malen, skizziert das Jesaja-Buch ein kontrastreiches Bild zweier entgegengesetzter Königreiche: Ein Reich des Lichts und ein Reich der Finsternis.

Die Vision des Propheten will sagen: Wenn die Israeliten ihr Verhalten ändern und Rechtschaffenheit üben, wird Jerusalem zum Zentrum eines von Gott selbst regierten Friedensreiches. Diese Königsherrschaft Gottes wird seitenweise lebhaft beschrieben (Kap. 2, 11, 25, 35, 60, 65, 66); hier eine Kostprobe:

„Und es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des HERRN fest stehen als Haupt der Berge und erhaben sein über die Hügel.

Und alle Nationen werden zu ihm strömen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs, dass er uns aufgrund seiner Wege belehrt und wir auf seinen Pfaden gehen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des HERRN von Jerusalem.

Und er wird richten zwischen den Nationen und Recht sprechen für viele Völker. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Nicht [mehr] wird Nation gegen Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen.“

Jesaja 2, 2–4 (ELB)

Die Länder der Widersacher Israels werden dagegen als trostlose Gegend beschrieben, in deren Ruinen Wüstentiere und Dämonen hausen, Pech- und Schwefelbäche fließen und ein immerwährendes Feuer brennt. Besonders betont werden zwei Erzfeinde: Babylon (Kap. 13+14+47) als jene Nation, die den Jerusalemer Tempel in Schutt und Asche legte, und Edom (Kap. 34+63), das widerspenstige Brudervolk Israels.

Die Feindschaft zwischen Israel und Edom wird in der Geschichte der Zwillingsbrüder Jakob und Esau betont, die sich bereits im Mutterleib stießen und Zeit ihres Lebens Rivalen blieben (Genesis 25,19ff). Jakob wurde der Stammvater Israels und Esau der Stammvater der Edomiter. Nachdem die Israeliten lange Zeit in Ägypten geknechtet wurden und schließlich nach Kanaan heimkehren konnten, mussten sie durch Gebiet der Edomiter ziehen. Jene verwehrten den Durchgang mit Waffengewalt (Numeri 20,14-21), und seit diesem Tag wurden die beiden Nationen nie wieder Freunde.

Jesaja zeichnet eine Zukunft, in der Israel wieder in Frieden und Sicherheit wohnen kann. Das setzt die vollständige Vernichtung aller Feinde voraus, die früher stets die Grenzen bedroht haben. Deren Land ist nunmehr ein Reich der Finsternis, in dem das Chaos herrscht:

„Und Edoms Bäche verwandeln sich in Pech und sein Boden in Schwefel; und sein Land wird zu brennendem Pech. Tag und Nacht erlischt es nicht, ewig steigt sein Rauch empor. Von Generation zu Generation liegt es in Trümmern, für immer und ewig zieht niemand hindurch. Wüstenkauz und Igel nehmen es in Besitz, Eule und Rabe wohnen darin. […]

Und in seinen Palästen gehen Dornen auf, Nesseln und Disteln in seinen befestigten Städten. Und es wird zur Wohnstätte der Schakale, zur Siedlung für Strauße. Da treffen Wüstentiere mit wilden Hunden zusammen, und Bocksdämonen begegnen einander. Ja, dort rastet die Lilit und findet einen Ruheplatz für sich.“

Jesaja 34, 9–14 (ELB)

Der Grundgedanke ist klar und einfach: Wenn Israel Gutes tut, wird es von Gott mit Frieden gesegnet, während gottlose Nationen im Feuer enden. Die Taten bestimmen das Schicksal.

An dieser Stelle muss betont werden, dass beide Orte – der Friedens-Berg und Schwefel-Edom – in dieser Welt verankert sind. Es handelt sich um reale Orte mit einer realen Geschichte, deren Zukunft fest mit der antiken Geografie verbunden ist. Obwohl die beiden Königreiche stark an Himmel und Hölle erinnern, geht es hier nicht um das Jenseits. Es geht auch nicht um das Schicksal von Einzelpersonen, sondern von Völkern in ihrer Gesamtheit.

Was Jesus daraus macht

Es mag überraschen, dass Jesus in seiner Lehre gar nicht viel Neues gebracht hat. Mit seiner radikalen Kritik an der Heuchelei und sozialen Ungerechtigkeit ging er ganz in Jesajas Fußstapfen und spielte häufig auf den Propheten an. Genau wie Jesaja rief auch Jesus zur Umkehr vom bösen Lebenswandel auf. Im Übrigen erkannte der Evangelist Matthäus im gesamten Geschehen die Prophezeiungen des Jesaja in Erfüllung gehen:

„[…] und er [d. h. Jesus] verließ Nazareth und kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, in dem Gebiet von Sebulon und Naftali; damit erfüllt wurde, was durch den Propheten Jesaja geredet worden ist, der [in Kapitel 8,23–9,1] sagt: ‚Land Sebulon und Land Naftali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen: Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Land und Schatten des Todes saßen, ist Licht aufgegangen.‘ Von da an begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“

Evangelium nach Matthäus, Kapitel 4, 12–17 (ELB)

Ganz deutlich baute Jesus auf Jesajas Skizzierung der zwei Reiche aus Licht und Finsternis. Mehr noch, Jesus selbst sei der Begründer des Licht-Königreichs, das er „Reich der Himmel“ nennt. Statt Reich (griechisch basileia) könnte man auch Königsherrschaft übersetzen, und der Himmel ist eine aus Ehrfurcht entstandene Umschreibung für Gott selbst. Es geht also um die Königsherrschaft Gottes, die durch Jesus auf Erden umgesetzt wird.

Ein Land aus Pech und Schwefel, Heimat unreinen Getiers (Illustrator unbekannt)

Auf der anderen Seite warnte Jesus eindringlich vor dem Reich der Finsternis, jenem Ort außerhalb des Friedensreiches. Gedanklich begann diese wüste Gegend bereits direkt vor den Mauern Jerusalems. In Jesu Vorstellung gab es ein Drinnen und Draußen, das zwar lokal in unmittelbarer Nähe lag, aber moralisch streng getrennt wurde (vgl. Matthäus 25,1–13).

Zur Zeit Jesu waren diese beiden Reiche nicht in Ländergrenzen definiert. Sowohl das alte Israel als auch Edom waren ja längst keine autonomen Königreiche mehr, sondern standen beide unter der Oberherrschaft des römischen Imperators. Vielmehr wurde das Reich Gottes und das Reich der Finsternis idealistisch verstanden: Gottes Königsherrschaft war überall dort, wo sich Menschen in Liebe begegnen und Barmherzigkeit üben. Wo dagegen Hass, Unterdrückung und Machtgier herrschte, war das Reich der Finsternis. Viele Juden des ersten Jahrhunderts betrachteten das gesamte römische Reich als Reich der Finsternis.

Gegen Ende seines Lebens begann Jesus verstärkt von seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt zu sprechen. Wenn er eines Tages wieder aus dem Himmel zurückkehrt, so würde die Grenze zwischen dem Reich des Lichts und der Finsternis klar ersichtlich werden. Der Gottessohn würde nur jenen Menschen Zugang zum Friedensreich gewähren, die in ihren Taten diesem Reich entsprechen. Laut Jesus bestand also die Möglichkeit, eines Tages vor verschlossenen Toren zu stehen. Er betonte das zum Beispiel in seiner berühmten Endzeit-Rede:

„Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und vor ihm werden versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. Dann wird der König zu denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, Gesegnete meines Vaters, erbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an! Denn mich hungerte, und ihr gabt mir zu essen; mich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken; […]

Dann wird er auch zu denen zur Linken sagen: Geht von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn mich hungerte, und ihr gabt mir nicht zu essen; mich dürstete, und ihr gabt mir nicht zu trinken; […]“

Evangelium nach Matthäus, Kapitel 25, 31–42 (ELB)

Dieser Ort der Verdammnis bezieht sich offensichtlich auf Jesajas Darstellung des Landes Edom, wo ein ewiges Feuer aus Pech und Schwefel brennt, sich „Bocksdämonen begegnen“ und „Lilit eine Ruheplatz für sich findet“ (Jesaja 34,9–14). Die Gegend wurde zum Sinnbild für eine Welt ohne Gottes Bewahrung.

Hier ein weiteres Jesus-Wort mit deutlichem „Drinnen-Draußen-Kontrast“:

„Ich sage euch aber, dass viele von Osten und Westen kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch liegen werden in dem Reich der Himmel, aber die Söhne des Reiches werden hinausgeworfen werden in die äußere Finsternis; da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein.“

Evangelium nach Matthäus, Kapitel 8, 11–12 (ELB)

Die Formulierung „Weinen und Zähneknirschen“ brachte Jesus bei zahlreichen Gelegenheiten. Es umschreibt treffend eine Welt, in der Menschen nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und neidisch aufeinander blicken. Diese Welt existiert schon; sie ist für die meisten Menschen auf diesem Planeten Alltag.

Gehenna: Ein Ort für unsterbliche Würmer

Das Bild der äußeren Finsternis und des ewig brennenden Feuers fasste Jesus in einem Begriff zusammen: Gehenna. Seine wahrscheinlich krasseste Illustration dieses Ortes ist Folgende:

„Und wenn dein Auge dir Anstoß [zur Sünde] gibt, so wirf es weg! Es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes hineinzugehen, als mit zwei Augen in die Gehenna geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.“

Evangelium nach Markus, Kapitel 9, 47+48
Das Tal Hinnom im Südwesten Jerusalems (c) Deror Avi

Gehenna (hebräisch Ge-Hinnom) bedeutet so viel wie Schlucht von Hinnom und bezeichnete das Tal auf der Südseite Jerusalems, in dem während der Regierungszeit der israelitischen Könige Ahas und Manasse schreckliche Menschen-Brandopfer für den Gott Baal dargebracht wurden, was innerhalb der Bibel an drei Stellen bezeugt wird (2. Chronik 28,3; 33,6 und Jeremia 19,6). Darüber hinaus besagen mittelalterliche Quellen, dass an dieser unheiligen Stätte die Leichen verurteilter Verbrecher in einem dauerhaft brennenden Feuer beseitigt wurden (siehe Lloyd R. Bailey, Gehenna: The Topography of Hell).

Es war das perfekte Bild für den finsteren Ort „da draußen“, das gottlose Schwefel-Edom.

Obwohl dieses Bild nicht das Jenseits meint, wird Jesu Rede von der Gehenna häufig verwendet, um die Lehre ewiger Qual im Jenseits zu begründen. Man neigt dazu, in den „Würmern“ die Sünder zu sehen, die Tag für Tag in unauslöschlichem Feuer aufs Neue verbrannt werden. Dabei werden sie von Gott selbst bei Bewusstsein gehalten. Doch eine derart perverse Idee ist dem hebräischen Denken völlig fremd!

Wir haben bereits gesehen, wie Jesus das Bild eines ewig brennenden Feuers von Jesaja aufgreift, und dass damit das Land Edom gemeint war: „Tag und Nacht erlischt es nicht, ewig steigt sein Rauch empor“ (Jesaja 34,10). Daher ist die natürlichste Annahme, dass Jesus bei der Gehenna ebenfalls an einen Ort im Diesseits dachte; an eine Realität auf diesem Planeten. Dieser Ort wiederum ist ein Symbol für einen moralischen Zustand, der überall auf Erden herrschen kann.

Übrigens ist auch Jesu Äußerung des „nicht sterbenden Wurms“ ein wörtliches Zitat von Jesaja! Genauer gesagt sind es sogar die Schlussverse des ganzen Buches. Und man glaubt es kaum – der Prophet hatte dabei ebenfalls einen realen Ort vor den Mauern Jerusalems im Sinn:

„Und sie bringen alle eure Brüder aus allen Nationen […] zu meinem heiligen Berg, nach Jerusalem, spricht der HERR, […]. Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir bestehen, spricht der HERR, so werden eure Nachkommen und euer Name bestehen. Und es wird geschehen: Neumond für Neumond und Sabbat für Sabbat wird alles Fleisch kommen, um vor mir anzubeten, spricht der HERR. Und sie werden hinausgehen und sich die Leichen der Menschen ansehen, die mit mir gebrochen haben. Denn ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen, und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch.“

Jesaja 66, 20–24 (ELB)

Jesajas Gedanke ist, dass die Leichen (!) im Tal Hinnom vor den Mauern Jerusalems nicht begraben werden, sondern über die gesamte Dauer des Friedensreiches verbrannt und von Würmern zerfressen werden; zum Mahnmal für die Lebenden. Das bedeutet noch lange nicht, dass die Leichen auf wundersame Weise vor der endgültigen Verwesung bewahrt werden. Gesagt ist nur, dass vor Jerusalem stets irgendwelche Leichen brennen, aber doch nicht die ganze Zeit dieselben.

An diesem Punkt scheint mir ein kleiner Exkurs angebracht, um den Ursprung der Folterhöllen-Lehre zu klären.

Vom Ursprung der Hölle

Man muss wissen, dass das Totenreich (hebräisch she’ol) in der gesamten jüdischen Bibel (dem christlichen „Alten Testament“) als ein Ort beschrieben wird, dessen Bewohner kein Bewusstsein haben, nichts wissen und nichts planen (Prediger 9,5–10). Ihr Zustand wird mit dem Schlaf verglichen:

„Ein Mann aber stirbt und liegt da; und ein Mensch verscheidet, und wo ist er [dann]? Das Wasser verrinnt aus dem Meer, und der Fluss trocknet aus und versiegt; so legt der Mensch sich hin und steht nicht wieder auf. Bis der Himmel nicht mehr ist, erwacht er nicht und wird nicht aufgeweckt aus seinem Schlaf.“

Das Buch Hiob, Kapitel 14,10–12

Der She’ol ist kein Ort der Bestrafung. Tatsächlich glaubten die alten Hebräer überhaupt nicht an die Unsterblichkeit der Seele. Die Toten werden erst wieder lebendig, wenn Gott sie zu neuem Leben erweckt. Offensichtlich war auch Jesus dieser Meinung, wenn er vom verstorbenen Lazarus sagt: „Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, dass ich ihn aufwecke“ (Johannes 11,11–13).

Der personifizierte Hades und die Toten (c) deviantart.com/mathiaarkoniel

Die Vorstellung eines feurigen Un-Lebens im Totenreich wurde von dem griechischen Philosophen Platon (427–347 v. Chr.) geprägt, der wiederum auf die Mythologie seines Volkes zurückgriff (Gorgias 523–525). Die Griechen glaubten, dass es innerhalb des Totenreichs Hades einen üblen Ort namens Tartaros gab, an dem die unsterblichen Seelen der Sünder auf widerlichste Weise gefoltert wurden. Für Platon diente diese Vorstellung einzig der Abschreckung. In einem idealen Staat, so glaubte er, würden die Menschen dadurch zu einem moralisch guten Leben motiviert. In meinem Artikel vom Reichen Mann und dem armen Lazarus gehe ich ausführlich darauf ein.

Jesu Zeitgenossen waren von diesem platonischen Denken bereits stark beeinflusst, und so entwickelte sich das kirchliche Dogma von der Hölle, wie wir es heute kennen. Die meisten deutschen Bibeln seit Martin Luther übersetzen das griechische Gehenna mit Hölle, obwohl es besser wäre, den Ortsnamen unübersetzt zu lassen. Durch die Jahrhunderte hat Luthers Wortwahl zu schrecklicher Verwirrung geführt.

Etymologisch betrachtet kommt Hölle vom germanischen Wort Hel. Das ist der Name der altnordischen Todesgöttin, die über die gleichnamige Unterwelt herrscht. Die Germanen glaubten, dass sie dort ewiglich Schmerz, Hunger und Kälte erleiden und vom Drachen Nidhöggr zerfleischt werden. Eine „coole“ Version des griechischen Tartaros, wenn man so will.

Lange Rede, kurzer Sinn: Jesu Konzept von der Gehenna wurde total missverstanden! Man übertrug die Illustration seiner irdischen Königsherrschaft auf einen ewigen Zustand im Jenseits. Doch der Gottessohn hatte nicht vom Jenseits gesprochen. Dafür gibt es ein besonders starkes Argument, auf das ich nun zu sprechen komme:

Durch gute Werke in den Himmel?

Jesus betonte stets, dass nur jene Menschen in seinem Reich leben werden, die sich durch barmherzige Taten ausgezeichnet haben: „Erbt das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an! Denn mich hungerte, und ihr gabt mir zu essen; mich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken; ich war Fremdling und ihr nahmt mich auf; …“ (Matthäus 25,34+35). Er wies ausdrücklich darauf hin, dass es nicht ausreicht, mit dem Mund ein bestimmtes Bekenntnis abzulegen, sondern dass einzig unser Handeln entscheidend ist:

„Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist.“

Evangelium nach Matthäus, Kapitel 7, 21 (ELB)

Ginge es hier um das ewige Schicksal nach dem Tod, hätten wir es mit einer so genannten Werk-Gerechtigkeit zu tun. Doch dem hätte der Apostel Paulus vehement widersprochen! Seine fundamentale Überzeugung war, dass Menschen sich das ewige Leben nicht irgendwie verdienen können, sondern es allein aus Glauben geschenkt bekommen (Römer 3,28; 5,1; 10,9–13; 11,6; Epheser 2,8+9; Galater 3,24 …). Paulus argumentierte aber nicht gegen Jesus, sondern war sein größter Fan.

Das ist ein echtes Problem!

Und es lässt sich meiner Ansicht nach nur auflösen, wenn wir das von Jesus gepredigte Reich der Himmel und die von Paulus gepredigte Auferstehung sauber unterscheiden. Die Fragestellung bei Jesus lautet (meistens): „Wie wird unsere Welt enden?“, aber bei Paulus (meistens): „Was kommt nach dem Tod?“ Zwar werden wir noch sehen, dass beides miteinander zusammenhängt, aber zunächst gilt es, die Perspektiven auseinander zu halten.

Im Klartext bedeutet das: Bevor das Universum in einen ewigen, geistigen, jenseitigen Zustand bei Gott übergeht, wird es in unserer zeitlichen, materiellen Wirklichkeit auf dem Planeten Erde ein (langes!) Königreich des Friedens geben. In die Ewigkeit zu Gott kann (und wird vermutlich) jeder kommen – allein aus Gnade. Dagegen gelangt man in das irdische Friedensreich nur aufgrund guter Taten; mehr noch, das Friedensreich wird erst möglich durch Werke der Barmherzigkeit!

Dass diese Sichtweise sehr gut aus der Bibel heraus begründbar ist, möchte ich in den folgenden Abschnitten zeigen.

Paulus‘ Eschatologie: Eine Übersicht

Im Verlauf des ersten Jahrhunderts formulierte Paulus in seinen zahlreichen Briefen den Glauben an Jesus Christus maßgeblich. Der ehemalige Pharisäer hatte eine geradezu systematische Vorstellung davon, was am Ende unseres Zeitalters geschehen wird. Seiner Erkenntnis nach werden die Toten (abgesehen von Jesus selbst) in zwei „Etappen“ lebendig gemacht, und dazwischen liegt Jesu Herrschaft auf Erden:

„Denn wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden. Jeder aber in seiner eigenen Ordnung: [der] Erstling, Christus; sodann die, welche Christus gehören bei seiner Ankunft; dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und Vater übergibt; wenn er alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht weggetan hat.

Denn er muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod weggetan. […] Wenn ihm aber alles unterworfen ist, dann wird auch der Sohn selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem ist.“

Paulus (1. Brief an die Korinther, Kapitel 15, 22–28)

Die Ereignisse lassen sich dem entsprechend relativ einfach strukturieren:

  1. Jesu Ankunft, das ist seine Wiederkunft auf Erden
  2. Die erste Auferstehung / die Verwandlung der Gerechten
  3. Eine lange Königsherrschaft Jesu über die Erde
  4. Die zweite Auferstehung / das Weltgericht / die Wiederherstellung aller Dinge
  5. Die Ewigkeit / Gott alles in allem

An dieser Stelle muss betont werden, dass natürlich auch Paulus‘ Auferstehungs-Konzept seiner Zeit und Kultur entsprach. Ob sich die Dinge in der Realität wirklich so verhalten, ist damit noch lange nicht gesagt. Die Zielrichtung Gottes – ein erfülltes Leben für die Menschen – kommt in Paulus‘ Theologie aber grandios zum Ausdruck. Seine Gedanken vollenden die Linie, die Jesaja und Jesus begonnen haben.

Der „Fünf-Punkte-Plan“ Gottes wird durch viele andere Bibeltexte bestätigt und veranschaulicht. Es lohnt sich, das im Detail zu betrachten und den größeren Zusammenhang zu sehen. Aus Platzgründen ist das hoffnungslos vereinfacht, aber immerhin ein Überblick:

1. Jesu Wiederkunft auf Erden: Der Tag des Herrn

Die Propheten Israels kündeten unermüdlich von einem zukünftigen Tag des Herrn und meinten damit Gottes unmittelbares Eingreifen in die Weltgeschichte, um Gerechtigkeit zu schaffen (z. B. Joel 4,12–14). An jenem Tag seien alle Nationen in einen großen Krieg gegen die Stadt des Friedens verstrickt: „Und es wird geschehen an jenem Tag, da mache ich Jerusalem zu einem Stemmstein für alle Völker; alle, die ihn hochstemmen wollen, werden sich wund reißen. Und alle Nationen der Erde werden sich gegen es versammeln“ (Sacharja 12,3).

Jesu Wiederkunft, wie es sich Zeugen Jehovas vorstellen (c) JW.org

Diese Darstellung mag etwas idealisiert sein, ist aber eine realistische Spiegelung menschlichen Strebens. Wir leben in einem globalen, politischen System, das aus Machtgier stets neue Kriege entfesselt. Insofern ist das menschliche Weltsystem bereits ein Angriff auf Gottes Friedensreich. „Dann wird der HERR ausziehen und gegen jene Nationen kämpfen […]. Und seine Füße werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der vor Jerusalem im Osten [liegt] […]“ (Sacharja 14,3+4).

Zwar sprachen die Propheten von Gott dem Allmächtigen, beschrieben ihn aber äußerst menschlich – er hat Füße und zieht in die Schlacht. Hier kann kaum jemand anderes gemeint sein als Jesus, welcher ein Abbild Gottes auf Erden ist (Kolosser 1,15). Der Ausgang der Schlacht ist erwartungsgemäß eine unsagbare Katastrophe für die Angreifer (Sacharja 14,12+13).

Im Anschluss an diese Konfrontation wird Jesus realisieren können, was bisher niemandem gelungen ist: Frieden in Palästina und im ganzen Nahen Osten.

2. Die Verwandlung der Gerechten: Von Materie zu Geist

Sodann folgt die erste Auferstehung der Toten. Meiner Ansicht nach wird Jesus alle Menschen, die jemals auf Erden wandelten und ihr Leben durch gute Werke (!) in den Dienst des Friedensreiches gestellt haben, zu einem neuartigen, unvergänglichen Leben aufwecken – unabhängig von ihrer Glaubens-Überzeugung. Gut möglich, dass das vergleichsweise wenige Menschen sein werden, „denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden“ (Matthäus 7,14). Übrigens habe ich große Zweifel, ob ich dazu gehören werde.

Der jüdische Friedhof am Hang des Ölbergs, mit Blick auf Jerusalem.

Nach welchen Kriterien hier gewertet wird, und wer wann gut genug ist, weiß Gott allein. Es steht uns nicht zu, über andere zu urteilen, und es ist auch nicht nötig. Gott allein sieht, was im Menschen tatsächlich vor sich geht und wird entsprechend urteilen (vgl. 1. Samuel 16,7).

Die zu neuem Leben erweckten Menschen werden sich auf diesem Planeten wiederfinden, allerdings in rätselhaft veränderten Körpern. Sie werden Geist-Wesen gleichen, die zwar irgendwie materiell greifbar sind, aber doch unabhängig von Raum und Zeit. Als Jesus einmal auf die Auferstehung angesprochen wurde, zog er einen recht simplen Vergleich: „In der Auferstehung heiraten sie nicht, noch werden sie verheiratet, sondern sie sind wie Engel im Himmel“ (Matthäus 22,29). Tatsächlich war Jesus nach seiner eigenen Auferstehung in der Lage, nach Belieben zu erscheinen und zu verschwinden (Johannes 20,19). Paulus formulierte es so:

„Dies aber sage ich, Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht erben können, auch die Vergänglichkeit nicht die Unvergänglichkeit erbt. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; […] und die Toten werden auferweckt werden, unvergänglich [sein], und wir werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muss Unvergänglichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen.“

1. Korinther 15, 50–53 (ELB)

Weiter war Paulus der Meinung, dass die Gerechten, die zu dieser Zeit noch leben, ebenfalls in Geist-Wesen verwandelt werden:

„Denn dies sagen wir euch in einem Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird beim Befehlsruf, bei der Stimme eines Erzengels und bei [dem Schall] der Posaune Gottes herabkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit beim Herrn sein.“

1. Thessalonicher 4, 15–17 (ELB)

Wohlgemerkt: Diese Leute werden nicht in einen transzendenten Himmel entrückt, sondern durch den Lufthimmel (die Atmosphäre) zum irdischen Jerusalem, denn dort wird Jesus sein.

Gut möglich, dass sich an diesem Tag viele der noch lebenden Christenmenschen sehr wundern werden, dass sie nicht transformiert wurden: „Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und […] viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter!“ (Matthäus 7,22–23). Wiederum sind die Taten entscheidend; nicht das mündliche Bekenntnis zum Christentum. Dieser Tag könnte eine ziemliche Überraschung werden.

3. Jesu Königsherrschaft: Nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt

Darauf folgt eine Zeit, in der Jesus zu Jerusalem regieren und seinen Einflussbereich ausweiten wird, bis alle gottesfeindlichen Mächte besiegt sind: „Und es wird geschehen: Alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, die werden Jahr für Jahr hinaufziehen, um den König, den HERRN der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern“ (Sacharja 14,16). „Denn von Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des HERRN von Jerusalem. Und er wird richten zwischen den Nationen und Recht sprechen für viele Völker […] und sie werden den Krieg nicht mehr lernen“ (Jesaja 2,3+4).

3.1. Eine Aufgabe epischen Ausmaßes

Stellt man sich das Ganze einmal realistisch vor, tun sich zahlreiche organisatorische Probleme auf. Wie genau will eine einzelne Person über die ganze Welt Recht sprechen? Wie soll das logistisch funktionieren? Zwar mag Jesus dann auf Erden gegenwärtig sein, aber nichts deutet darauf hin, dass er mit dem Finger schnipst und die Welt schlagartig auf wundersame Weise in ein Paradies verwandelt. Genau da kommen die auferweckten Gerechten ins Spiel.

Kurz vor seiner Kreuzigung hatte Jesus seine Nachfolger bereits auf die Verantwortung hingewiesen, die sie erwartet:

„[…] und ich verordne euch, wie mein Vater mir verordnet hat, ein Reich, dass ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich und auf Thronen sitzt, die zwölf Stämme Israels zu richten.“

Evangelium nach Lukas, Kapitel 22, 29–30 (ELB)

Wer sich in kleinen Dingen bewährt hat, dem wird in der Auferstehung Größeres anvertraut. Das entspricht exakt Jesu berühmtem Gleichnis von den anvertrauten Geldmünzen (Matthäus 25,14–30). Auch Paulus war der Überzeugung, dass nach seinem Tod keine langweilige Zeit des Harfe Klimperns auf fluffigen Wolken folgt, sondern dass die Gerechten mit Jesus regieren werden (1. Korinther 6,3). Die richtige Arbeit beginnt dann erst!

3.2. Von himmlischen Wohnungen

Wichtig zu verstehen ist, dass das Reich der Himmel aus Sicht der alten Propheten natürlich in Jerusalem angesiedelt war, weil dort in historischer Zeit der Tempel Gottes stand. Wenn der Ewige auf Erden wohnt, dann dort. Jesus ging aber noch einen Schritt weiter und stellte klar, dass das Friedensreich eine geistige Größe sein wird, die sich auf die materielle Welt auswirkt:

„Und als er von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; auch wird man nicht sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch [bzw.: innerhalb von euch].“

Evangelium nach Lukas, Kapitel 17, 20 (ELB)

Zwar spricht Jesus hier von Menschen aus Fleisch und Blut. Doch in ihnen hat bereits ein „neuer Mensch“ zu Leben begonnen (2. Korinther 5,17), der andere Prioritäten setzt und die „Frucht des Geistes“ hervorbringt, nämlich „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung“ (Galater 5,22).

Sind diese Leute erst einmal in Geist-Körper verwandelt, werden sie umso mehr Gottes Reich repräsentieren. Fast scheint es, als seien die Körper der Auferstandenen selbst das Reich Gottes. Sie sind es ja, durch die auf Erden Recht gesprochen wird. Das würde bedeuten: Sobald ein Mensch in Gottes Augen als gerecht angesehen wird, transformiert ihn Jesus in einen neuen Geist-Körper, und er ist sozusagen „im“ Reich Gottes. Logischerweise haben alle anderen keinen Zugang, da sich niemand von selbst in Geist verwandeln kann. Der einzige Weg ist der Gottessohn, wie geschrieben steht:

„Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, würde ich euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe, dahin wisst ihr den Weg.

Thomas spricht zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Und wie können wir den Weg wissen? 

Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.“

Evangelium nach Johannes, Kapitel 14, 2–6 (ELB)
Neue Menschen aus Geist (c) Icons of the Bible Art

Sehr wahrscheinlich meinte Jesus mit den „Wohnungen“ die Auferstehungskörper. Der Vergleich zwischen Haus und Körper war durchaus gängig; wie auch Paulus schrieb: „[…] das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ewig. Denn wir wissen, dass, wenn unser irdisches Zelthaus zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Haus in den Himmeln“ (2. Korinther 4,18–5,1). Der Zusammenhang im Paulus-Brief zeigt eindeutig, dass hier Menschenkörper gemeint sind, und nicht wirkliche Häuser.

Auch der Apostel Petrus war dieser Meinung, wenn er sagte: „[…] Lasst euch auch selbst als lebendige Steine aufbauen, als ein geistliches Haus, ein heiliges Priestertum, um geistliche Opfer darzubringen, Gott hochwillkommen durch Jesus Christus! Denn es ist in der Schrift enthalten [in Jesaja 28,16]: ‚Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden werden'“ (1. Petrus 2,5+6).

Die irdische, reale Stadt Jerusalem scheint als Ausgangspunkt des Geschehens lediglich eine Art „Zugang“ oder „äußere Hülle“ des Friedensreiches zu sein, während das Reich selbst nicht aus Materie, sondern aus Geist gebaut sein wird. Echt geist-reich!

4. Das Weltgericht: Die Wiederherstellung aller Dinge

Der letzte Feind, der durch Gottes Königsherrschaft vernichtet wird, sei der Tod selbst (1. Korinther 15,26). Das legt den Schluss nahe, dass im Verlauf (oder gegen Ende?) des Friedensreiches auch alle anderen Toten zu neuem Leben auferweckt werden. Und zwar unabhängig von ihren Taten, sondern als unverdientes Geschenk aus Gnade! Das klingt toll, aber zugleich stellt sich die Frage: Wann werden all die schrecklichen Taten gesühnt, die Menschen im Leben angetan wurden? Wann wird den Armen und Schwachen Gerechtigkeit widerfahren? Eine mögliche Antwort lautet: Während der Königsherrschaft Gottes auf Erden.

4.1. Was ist Gerechtigkeit?

Blinde Vergeltung oder Zu-Recht-Weisung? (c) S. Hermann & F. Richter, Pixabay.com

In zahllosen biblischen Texten wird vom Weltgericht gesprochen. Man stellt sich das häufig als einmaliges Ereignis in einem Gerichtssaal vor, worin jeder Mensch vor dem alten, weißbärtigen Richter erscheinen muss. Der habe ein großes Buch, in dem alle unsere Schandtaten verzeichnet sind, für die wir Rechenschaft ablegen müssen. Diese Vorstellung ist geprägt vom griechisch-römischen Rechtsdenken, in dem Justitia ohne Ansehen der Person auf Basis nüchterner Berechnung für jede Übeltat eine entsprechende Vergeltung festlegt.

Das hebräische Konzept von Gerechtigkeit ist ein Anderes. Da geht es nicht um Strafe, sondern um Wiederherstellung. Es geht darum, dass Dinge zurechtgebracht werden. Das oberste Ziel ist, sowohl Opfer als auch Täter (!) wieder in die Gesellschaft zu integrieren und ein Zusammenleben zu ermöglichen. Dabei wird jeder Mensch individuell angesehen und bekommt die Hilfe, die er benötigt. Diese Art von Gericht ist durch und durch erstrebenswert und wird in biblischen Texten herbeigesehnt (z. B. Psalm 67,5). Jeder Übeltäter, der aufrichtige Reue empfindet, wird hier Gnade finden. Dieses „resozialisierende“ Weltgericht braucht Zeit, und das ist letztlich der Sinn hinter Jesu langer Königsherrschaft.

4.2. Zwei Auferstehungen im Johannes-Evangelium

Wenn Jesus von unserer Hoffnung sprach, hatte er in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) meistens das Reich der Himmel im Sinn, das zu seinen Lebzeiten bereits auf zwischenmenschlicher Ebene begonnen hat. Dagegen wird im Johannes-Evangelium (dem „geistigen Evangelium“) besonders betont, was Jesus über die tatsächliche Auferstehung der Toten dachte. Der Autor dieses Evangeliums ist vielleicht mit dem Autor der Johannes-Apokalypse identisch; und man merkt deutlich, dass sein Werk aus einer nach-österlichen Perspektive verfasst ist. Das bedeutet, Jesu Leben, Tod und Auferstehung wurde nach vielen Jahren rückblickend aufgearbeitet. Der Fokus liegt eindeutig auf der tieferen, geistigen Bedeutung der Ereignisse.

In dieser faszinierenden Jesus-Biografie lässt Johannes seinen Lehrer sagen:

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, [der] hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tod in das Leben übergegangen.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt und jetzt da ist, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben. […] 

Wundert euch darüber nicht, denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und hervorkommen werden; die das Gute getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben zur Auferstehung des Gerichts.“

Evangelium nach Johannes, Kapitel 5, 24–29 (ELB)

Die frühen Christen waren also der Meinung, dass auch Jesus zwei „Qualitäten“ der Auferstehung unterschieden hat: Die Auferstehung des Lebens entspricht der Verwandlung in Geist-Wesen. Das betrifft jene, die ihren Sinn bereits auf Jesu Prinzipien ausgerichtet haben. Ein weiteres „Gerade-Richten“ ist für sie nicht mehr nötig.

Was aber ist die Auferstehung des Gerichts, zu der die wohl größte Zahl Menschen gehören wird? Ganz einfach: Es ist das, was Jesus während seiner Königsherrschaft auf Erden tun wird.

4.3. Die Fortsetzung des Diesseits

In welcher Form die Menschen bei der Auferstehung des Gerichts zu neuem Leben erweckt werden, ist nicht ganz klar. Ewige Geist-Körper werden es wohl nicht sein; daher ist anzunehmen, dass wir in sterblichen Körpern aus Fleisch und Blut wieder aufgeweckt werden. Es wäre dann so wie bei Lazarus: Der wurde zwar von Jesus auferweckt und kam mit den Totenbinden aus der Grabhöhle spaziert (Johannes 11,1ff), musste aber eines Tages trotzdem wieder sterben.

Damit wäre der Tod aus Gottes Sicht nur eine belanglose Unterbrechung des Lebens. Jesus wird mit der Kraft Gottes in der Lage sein, den Körper jedes Menschen wieder genauso herzustellen, wie er vor dem Tod war – völlig egal, ob er zuvor verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut wurde.

Man sollte annehmen, dass wir in der Auferstehung nicht schlagartig oberfromme, perfekte Wesen sein werden, sondern in unserer Persönlichkeitsentwicklung genau da weiter machen, wo wir beim Tod aufgehört haben. Denkt man genauer darüber nach, geht es gar nicht anders. Würde uns ein perfekter Charakter einfach „übergestülpt“, wären wir nicht mehr dieselbe Person. Was uns als Individuum ausmacht, sind ja gerade unsere Schwächen und Fehler; unsere Erinnerungen und Erfahrungen.

Diese Sichtweise löst zahlreiche Probleme, die in der kirchlichen Lehre von Himmel und Hölle existieren: Kommen Babys in den Himmel, wenn sie bei der Geburt sterben? Was ist mit Menschen, die nie etwas vom Christentum gehört haben? Was ist mit Menschen, deren Bewusstsein durch psychische Krankheiten, Gedächtnisverlust, Fehlentwicklungen, etc. eingeschränkt war? Die Antwort könnte in allen Fällen ganz einfach lauten: Jesus stellt den Körper aller Menschen wieder her und tut das, was er am besten kann: Heilen. Jeder Mensch, der zu früh gestorben ist, wird dann sein Leben leben dürfen.

Freilich ist das eine Menge Arbeit! Ich kann mir gut vorstellen, dass die Toten über die ganze, lange Dauer des Friedensreiches nach und nach wiederhergestellt werden. Wer auf diese Weise wieder ins Leben zurückgeholt wird, findet sich in einer Welt wieder, die von Jerusalem aus in Frieden und Gerechtigkeit regiert wird. Wessen Leben zuvor nicht lebenswert war, wird nun erfahren, wie es eigentlich gedacht war.

„Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und es wird dort keinen Säugling mehr geben, [der nur wenige] Tage [alt wird], und keinen Greis, der seine Tage nicht erfüllte. Denn der Jüngste wird im Alter von hundert Jahren sterben, und wer das Alter von hundert Jahren nicht erreicht, wird als verflucht gelten.“

Jesaja 65, 17–20 (ELB)

4.4. Von Verbitterung und Vergebung

Petrus (links) auf der Hochzeit von Kana in der TV-Serie „The Chosen“ von Dallas Jenkins

Es mag eine Weile dauern, aber ich bin davon überzeugt, dass Gott auf diese Weise jede Verletzung heilen wird, die irgendeinem Menschen jemals zugefügt wurde. Auch wer darüber in Verbitterung geraten ist, wird dann wieder fröhlich sein können – und in der Lage, seinen Übeltätern zu vergeben. Die Vergebung wiederum ist die Grundlage dafür, dass letztlich alle Menschen in Frieden miteinander leben können.

Allerdings meine ich, dass Gott die schlimmen Dinge der Vergangenheit nicht ungeschehen machen und nicht verharmlosen wird. Was geschehen ist, hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Es hat uns geformt und (hoffentlich) weise gemacht. Doch indem Gott den entstandenen Schaden vollständig behebt, wird uns die Vergangenheit nicht mehr belasten. Ich glaube, das meinte Jesaja mit dem „Abwischen der Tränen“:

„Und der HERR der Heerscharen wird auf diesem Berg allen Völkern ein Mahl von fetten Speisen bereiten, ein Mahl von alten Weinen, von markigen fetten Speisen, geläuterten alten Weinen. Dann wird er auf diesem Berg die Hülle verschlingen, die das Gesicht aller Völker verhüllt, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist. Den Tod verschlingt er auf ewig, und der Herr, HERR, wird die Tränen abwischen von jedem Gesicht, […]“

Jesaja 25, 6–8 (ELB)

Gut möglich, dass alle Eltern ihre zu früh verstorbenen Kinder zurückbekommen und erleben werden, wie sie aufwachsen. All das Gute, das Menschen immer wollten und nie umsetzen konnten, wird dann möglich sein. Und außerdem gibt es ein Festmahl mit bestem Wein! (Was natürlich ein Bild ist für Freude und Wohlstand im Allgemeinen.) Petrus, einer von Jesu engsten Vertrauten, fand eine besonders schöne Bezeichnung dieser Epoche:

„Den [Jesus] muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller [Dinge], von denen Gott durch den Mund seiner heiligen Propheten [z. B. Jesaja!] von jeher geredet hat.“

Petrus, Apostelgeschichte, Kapitel 3, 21 (ELB)

5. Die Ewigkeit: Gott alles in allem

Angesichts einer solch umfassenden, göttlichen Versorgung gibt es für niemanden mehr einen Grund, seine Mitmenschen ungerecht oder böswillig zu behandeln. Wer aus irgendeinem unerfindlichen Grund trotzdem nichts mit Gottes Reich zu tun haben möchte, muss wissen, dass er sich damit selbst nach draußen in die Gehenna befördern würde. Die Welt draußen entspricht letztlich der Welt, in der wir heute leben: Zwar gibt es schöne Momente, doch für die meisten Menschen ist es unterm Strich ein Leben voller Tränen und Leid, das ziemlich schnell enden kann.

Und ein zweites Mal wird uns der Ewige nicht vom Tod zurückholen. Jedenfalls schließe ich das aus Jesu Worten: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als [auch] Leib zu verderben vermag in der Gehenna!“ (Matthäus 10,28).

Um diese harte Warnung richtig einordnen zu können, müssen wir zunächst wissen, was mit „Seele“ überhaupt gemeint ist.

5.1. Zum Seelenbegriff

Im Alten Testament der Bibel meint „Seele“ (hebräisch: nefesch) die Kehle des Menschen. Wir atmen und essen durch die Kehle, womit sie ein Bild unserer Lebensenergie ist, aber auch unsere Bedürftigkeit und Zerbrechlichkeit illustriert. Sie stellt die Gesamtheit des Menschen dar. Gelegentlich nutzen wir den Begriff auch heute noch so: „An Bord waren X Menschenseelen“.

Im Neuen Testament ist der Begriff anders belegt. Durch den platonischen Einfluss meint „Seele“ (griechisch: psyche) hier alles, was den Menschen abgesehen von seinem materiellen Körper ausmacht. Es ist die ewige Idee eines Menschen, die unabhängig von seinem Fleisch und Blut bei Gott existiert.

5.2. Von Auslöschung und Allversöhnung

Wenn Jesus also davor warnt, dass Gott in der Gehenna die Seele verderben kann, dann ist damit gemeint, dass Gott die Idee dieses Menschen endgültig auslöschen könnte. Wäre jemand „nur“ tot, könnte er im Handumdrehen wieder ins Leben zurückgeholt werden. Doch wenn Gott die Idee dieses Menschen aufgibt, wird er wohl nie wieder auferweckt. Er existiert dann einfach nicht mehr.

Aber warum sollte sich jemand bei voller Erkenntnis der Liebe Gottes von derselben abwenden? Alle mir bekannten Menschen, die von Gott nichts wissen wollen, haben entweder ein verkorkstes Gottesbild oder glauben gar nicht an ihn. Wer aber der vollen Wahrheit ins Antlitz blickt und Gottes Reich erlebt, wird wohl kaum dagegen aufbegehren.

Ja, ich bin davon überzeugt, dass Gottes Liebe am Ende jeden Menschen gewinnen wird. Schlussendlich kann Gott alle in sein Reich aufnehmen, auch jene, deren Leben zuvor Gehenna war.

Und dann, nach wer weiß wie vielen tausend Jahren, wird das gesamte Universum in Gott versöhnt und vereint sein und in einen ewigen, geistigen Zustand übergehen. Darauf gehen die Bibeltexte nicht weiter ein; was kaum verwunderlich ist, da es unsere Vorstellungskraft weit übersteigt. Vielleicht werden wir es an dem Tag verstehen, an dem wir die Quantenphysik verstanden haben.

Wir sollten jedenfalls nicht den Fehler machen, uns die Ewigkeit in den Kategorien von Raum und Zeit vorzustellen. Man neigt dazu, in der „Ewigkeit“ eine unaufhörliche Aneinanderreihung langer Zeiträume zu sehen. Jedenfalls haben wir dieses Konzept, wenn wir beispielsweise sagen „das dauert ja ewig“. Das könnte ganz schön langweilig werden! Tatsächlich meint Ewigkeit aber Zeitlosigkeit. Das ist mehr eine Qualität oder ein Zustand, und darin ist keine fortschreitende Entwicklung mehr enthalten. Dann wird Gott „alles in allem“ sein (1. Korinther 15,28).

Konsequenzen für unser Leben

Zusammenfassend bedeutet das: Während der Zeit des irdischen Friedensreiches gibt es einen „doppelten Ausgang“, also zwei Orte, die mit Himmel und Hölle vergleichbar sind. Die Gerechten befinden sich innerhalb Jerusalems und feiern mit Abraham im Reich Gottes, während sich die Ungerechten außerhalb der Stadtmauern in einer trostlosen Welt den Schädel einschlagen. Wohlgemerkt ist das keine jenseitige Folterkammer. Sondern durch unser Streben nach Macht und Reichtum erschaffen wir uns ganz von selbst die Hölle auf Erden.

Allerdings betont Jesaja, dass die Tore zu Gottes Reich „beständig offenstehen“ (Kap. 60,11), d. h. alle Menschen sind jederzeit eingeladen, an Gottes Projekt mitzuwirken. Bis zum Übergang in die sprichwörtliche Ewigkeit wird nach meinem Verständnis jeder Mensch gerettet und alles Böse ausgelöscht sein. Der „End-Zustand“ ist vermutlich eine universale Allversöhnung.

An dieser Stelle begegnet mir häufig der Einwand: Warum sollen Christen überhaupt für ihren Glauben werben („missionieren“), wenn am Ende so oder so alle in Gott vereint werden? Der Fehler liegt schon in der Frage. Beim Reich Gottes ging es noch nie darum, Menschen zu einer bestimmten Konfession zu bekehren. Leider wird Jesu „Missionsbefehl“ häufig dahingehend missverstanden. Der Auferstandene hatte unmittelbar vor seiner Himmelfahrt gesagt:

„Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe!“

Matthäus 28, 19+20 (ELB)

Jemanden zu einem Jünger machen bedeutet aber nicht, ihn zu einem „Christen“ zu machen. Besonders in der evangelikalen Szene wird der so genannten „Bekehrung“ viel zu große Bedeutung beigemessen. Da kommt es nur darauf an, einmalig ein Bekenntnis zu Jesus abgelegt zu haben, und dann bist du „gerettet“ – völlig egal, wie dein Leben tatsächlich aussieht. Was für ein Hokus Pokus!

Unterwegs mit dem Sohn Gottes (c) The Bible Miniseries von Roma Downey & Mark Burnett

Nein, ein Nachfolger Jesu zu sein, bedeutet, seinen Lebensstil nachzuahmen. Es bedeutet, als Grundeinstellung ein Diener zu sein und sich stets gegenseitig zu erinnern, was Jesus gelehrt hatte. Das ist für alle Beteiligten ein Prozess, ein Weg. Die Taufe ist lediglich ein einmaliges Zeichen dafür, dass jemand beschlossen hat, diesen Weg zu beschreiten. In der Taufe selbst ist aber nichts Rettendes, Magisches.

Es wird eben nicht per Knopfdruck automatisch alles gut! Die so genannte „Allversöhnung“ will erarbeitet sein; eine Aufgabe, die Gott scheinbar uns übertragen möchte. Der Ewige lässt uns an der Gestaltung seines Königreichs teilhaben. Wenn du ein Teil des Friedensreichs sein möchtest, wirst du früher oder später Barmherzigkeit, Geduld, Treue, usw. lernen müssen. Insofern hat das Reich der Himmel schon begonnen. Letztlich besteht es aus Menschen, und jeder Mensch kann an seinem eigenen Charakter feilen.

Diese Sichtweise ermuntert also weder zu einem gleichgültigen Lebensstil, noch zu Missionseifer aus Höllenfurcht. Sondern wir dürfen in einer gesunden, ungezwungenen Haltung an Gottes Verwandlung der Schöpfung mitwirken und an unserer eigenen Zukunft bauen!