
Von der Erkenntnis der Wirklichkeit
Können wir jemals etwas sicher wissen? Worauf beruht unsere Erkenntnis und wo sind wir auf Glauben angewiesen? Gibt es absolute Wahrheit überhaupt? Ein kurzes Bekenntnis.
Realität und Rationalität

Alles was du wahrnimmst, könnte eine Täuschung sein: In der Filmreihe The Matrix ist die wirkliche Welt eine triste, post-apokalyptische Dystopie, während den Menschen die Illusion der Welt, die wir kennen, von bösartigen Robotern zerebral eingeflößt wird. Die schlechte Nachricht: Wenn das stimmt, werden wir es wohl niemals herausfinden.
Dennoch ist für jeden von uns die grundlegendste Wahrheit, dass wir unserer selbst bewusst sind. Das bedeutet, selbst wenn alles, was wir denken und empfinden, eine Lüge ist, so steht die Tatsache unserer geistigen Existenz dennoch fest. Durch unseren Zweifel beweisen wir die eigene Autonomie. „Ich denke, also bin ich“ resümierte der Philosoph René Descartes (Meditationes de prima philosophia, 1641). Aber sogar dann, wenn wir überhaupt nichts denken, nehmen wir die Umgebung wahr und fühlen uns auf eine bestimmte Weise. Diese Innenperspektive – das, was fühlt und meine Gedanken beobachtet – das bin ich.
Wir sind in die Welt geworfen und auf die subjektive Abschätzung angewiesen, was Wahrheit ist und was nicht. Diese Einschätzung, die stark von unserer Prägung und Kultur abhängig ist, nennen wir Glaube. Wir sind überall darauf angewiesen – auch in naturwissenschaftlichen Theorien, wenn wir Prämissen und Axiome aufstellen. Gläubig ist also jeder Mensch. Es geht nicht anders.
Mit Hilfe der Naturwissenschaften ist es möglich, die Welt außerhalb von uns empirisch zu erforschen. Dabei verlassen wir uns auf die fundamentalen Prinzipien unserer Vernunft, darunter Logik und Kausalität (Ursache und Wirkung). Als Menschen verspüren wir das Bedürfnis, Sinn und Zweck sowie die Beschaffenheit der eigenen Existenz zu ergründen. Warum gibt es etwas und nicht nichts? Um diese Frage strukturiert anzugehen, beginnen wir bei uns selbst. Was sind wir?
Körper und Geist
In der Realität, die wir außerhalb von uns erleben, sind Menschen hochkomplexe, von Hormonen befeuerte, neuronale Netze in einem organischen Gehirn, das wiederum über Nervenbahnen mit dem Rest des Körpers vielschichtig verwoben ist. Der Körper besteht zu etwa 99% aus Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff; ist also aus einfachsten Elementen zusammengesetzt. Doch aus dem Zusammenspiel all seiner Gehirnfunktionen entsteht auf eine bisher unverstandene Weise das Bewusstsein (das „Ich-Gefühl“) als etwas qualitativ Neuartiges. Es ist eine Emergenz, also mehr als die Summe seiner Teile. Bewusstsein ist das Erleben und Beurteilen unserer Sinneseindrücke.
Zwar lassen sich manche Gemütszustände des Bewusstseins mit der Aktivität diverser Hirnregionen korrelieren, aber das Bewusstsein an sich ist an keiner bestimmten Stelle des Gehirns lokalisierbar. Der geistige, „innere Beobachter“ ist überall und nirgendwo.
In der Natur findet sich Bewusstsein in unterschiedlichsten Abstufungen. Affen konnten in Experimenten Aufgaben bewältigen, die Bewusstsein voraussetzen, während der Mensch auch Momente von Bewusstlosigkeit und Bewusstseinstrübungen erlebt (z. B. beim Schlaf oder unter Alkoholeinfluss). Die Stärke oder Intensität von Bewusstsein ist also direkt abhängig von der Leistung des Gehirns. Ohne Körperlichkeit haben wir keine Sinneseindrücke, keine Erinnerungen, keinen Begriff von irgendetwas, und insofern auch kein Bewusstsein.
Ein grundlegendes Element bei der Bewusstseinsbildung sind unsere Erinnerungen. Wir können Bilder und Verhaltensmuster aus der Vergangenheit abrufen, uns in ein Verhältnis dazu stellen und – vor allem – daraus lernen. Wir erleben uns als kontinuierliche Fortsetzung unserer Erinnerungen, wodurch wir im Fluss der Zeit verankert sind. Erst durch die Erinnerung wird menschliche Sprache möglich (die wir uns ja merken müssen), und die wiederum liefert die Struktur und logische Syntax, „an der sich unser Denken emporzuranken vermag“ (Helmut Gipper, Denken ohne Sprache?, 1971). Sprache ist Ausdruck des Geistes und Sprachfähigkeit die vielleicht einzige conditio humana.
Somit erleben wir uns in zwei Aspekten der Wirklichkeit, die zwar voneinander abhängig, aber doch verschieden sind: Materie und Geist. Leider stehen wir in beiden Bereichen vor mehr Rätseln als Erklärungen.
Das Rätsel des Geistes
Bisher kann das Phänomen des bewussten Erlebens geistiger Zustände (die Qualia) nicht wissenschaftlich erklärt werden. Wie ist es möglich, dass Atome nur durch eine bestimmte (sehr komplexe) Anordnung in einem Gehirn eine Innenperspektive schaffen, die über sich selbst reflektieren kann?
Selbst wenn wir die Wirkung jedes Hormons, jeder Information und jedes Nervenimpulses im Gehirn genau verstehen würden, könnten wir immer noch nicht sagen, wie und warum es sich auf eine bestimmte Weise anfühlt, diese Wirkungen (z. B. Schmerz) zu erleben. Die Funktionsweise der Echoortung einer Fledermaus können wir physikalisch sehr genau beschreiben, aber niemand von uns kann sagen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein und die Welt per Sonar wahrzunehmen. Woher kommt der Erlebnisgehalt unserer Wahrnehmung?
Um das Rätsel zu lösen, gibt es traditionell (stark vereinfacht) drei Ansätze:
- Geist ist nur eine Illusion (Materialismus)
Obwohl es sich anfühlt, als hätten wir eine bewusste Selbstwahrnehmung und Entscheidungsfreiheit, sind wir letztlich in einem vorherbestimmten System gefangen (Determinismus). Bewusstsein ist ein mächtiges Werkzeug, um im Überlebenskampf der Evolution Optionen abzuwägen; ein Instrument zur Entscheidungsfindung. Dass sich dieser Prozess auch irgendwie anfühlt, ist ein schöner Nebeneffekt, aber nach Daniel Dennett letztlich eine Täuschung. Dann wären unsere weltanschaulichen Überlegungen aber müßig, denn sie ändern rein gar nichts am vorherbestimmten Ablauf des riesigen Uhrwerks, in dem wir uns befinden. - Materie ist nur eine Illusion (Idealismus)
Das einzige, was wirklich existiert, ist laut Platon die objektive, unveränderliche Welt der Ideen und Vorstellungen, während die materielle Welt nur ein Abbild oder Schatten davon ist. Es wird also zwischen einer subjektiven Realität („Dinglichkeit“) und einer objektiven, geistigen Wirklichkeit unterschieden. Die Realität bildet nicht unser Bewusstsein, sondern unser Bewusstsein die Realität. Daher ist es ganz natürlich, dass wir sie auch bewusst erleben. Jedoch haben wir nach Immanuel Kant keine Möglichkeit, die Dinge an sich wahrzunehmen (Kritik der reinen Vernunft, 1787). Die Wirklichkeit bleibt uns verschlossen, aber die Realität ist ohnehin die einzige kontinuierliche Wahrnehmung, die wir haben. Somit werden wir in die Welt der Materie zurückgeworfen. - Geist ist komplementär zur Materie (Dualismus)
Es wird angenommen, Geist sei etwas kategorisch anderes als Materie. Das bedeutet, Geist könnte auch ohne Gehirnfunktionen in irgendeiner Form existieren und sich optional in einem Körper manifestieren bzw. von diesem Besitz ergreifen. Die große Schwäche dieser Position ist das fehlende Verbindungsglied zwischen Geist und Materie, auch bekannt als Interaktionsproblem: Wie kann ein nicht-materieller Geist eine physische Wirkung auf Materie haben (und umgekehrt)?
Um dem Problem des Dualismus zu begegnen, wurde vorgeschlagen, dass „Geist“ oder „Bewusstseins-Potenzial“ überall vorhanden ist (auch in einem Stein), aber erst bei ausreichender Fokussierung (z. B. in einem organischen Gehirn) als Bewusstsein wirksam wird. Das wäre so ähnlich wie Feuer, das entsteht, wenn Sonnenlicht durch eine Lupe gebündelt wird. Man nennt diese sympathische Idee Graduellen Panpsychismus. Geist und Materie wären zwei Seiten der selben Medaille. Mit anderen Worten: In dem Maße, in dem die strukturelle Komplexität eines Dings in materieller Hinsicht steigt, kann auch seine geistige Komplexität und damit der Grad des Bewusstseins zunehmen (Patrick Spät, Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein, 2016). Bemerkenswert an diesem Ansatz ist, dass dann auch künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln könnte.
Das Rätsel der Materie
Der zuletzt genannte Ansatz sollte schon deshalb weiter verfolgt werden, weil der Materie-Begriff auch von Seiten der Naturwissenschaften neu überdacht werden muss. Materie lässt sich grundsätzlich in zwei Richtungen erforschen: Einer Zeitlichen („woher kommt Materie?“) und einer Räumlichen („wie ist Materie aufgebaut?“).
I. Zum Ursprung der Materie
Durch die Spektralanalyse von weit entferntem Sternenlicht konnten wir herausfinden, dass sich das Universum mit zunehmender Geschwindigkeit ausdehnt. Um diese beschleunigte Expansion erklären zu können, müssen wir die Existenz Dunkler Energie annehmen, die rund drei Viertel (!) des gesamten Universums ausmacht. Leider können wir Dunkle Energie nicht direkt nachweisen und wissen auch sonst praktisch nichts darüber.
Wenn das Universum expandiert, muss die Ausdehnung zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen haben. Nach aktuellem Forschungsstand war das vor ca. 14 Milliarden Jahren. Das Universum hat also einen Anfang, an dem Raum und Zeit in einem unendlich kleinen Punkt konzentriert waren: Eine Singularität.
Was davor war, ist keine logische Fragestellung, denn: Laut der Relativitätstheorie sind Raum und Zeit untrennbar miteinander verwoben. Beide sind als Koordinaten in einem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum vorstellbar. Beim Urknall hat also nicht nur das Verstreichen der Zeit begonnen, sondern die Zeit als solche. Es kann keine „Zeit vor der Zeit“ geben, genau so wie es keinen Raum gibt, in den hinein sich unser Universum ausdehnt.
Dennoch zwingt uns unser Logik-basiertes Verständnis von Kausalität (einer der tiefsten Gründe unserer Selbst!), von einer Ursache der Raumzeit auszugehen. Wir können nicht akzeptieren, dass es eine Reaktion ohne vorhergehende Aktion gibt. Zwar schrieb der Physiker Stephen Hawking, dass sich Universen aufgrund des Gravitationsgesetzes von selbst aus dem Nichts erzeugen können (Der große Entwurf, 2015, S. 177). Aber woher kommt dieses Naturgesetz? Die tiefste Ursache des Universums kann nicht selbst Teil der Raumzeit sein. Sonst wäre die Aktion identisch mit der Reaktion, und das ist logischer Unsinn. Daraus folgt, dass der „erste Beweger“ aller Dinge nicht-räumlich (=geistig) und nicht-zeitlich (=ewig) ist.
II. Zur Beschaffenheit von Materie
Im Licht der modernen Quantenphysik wird klar, dass es Materie eigentlich gar nicht gibt: Der weitaus größte Bestandteil eines Atoms ist leerer Raum, und die Elementarteilchen (Quarks), aus denen der winzige Atomkern besteht, sind masselos. Jedoch wissen wir seit Albert Einstein, dass sich Masse in Energie übersetzen lässt, und Bewegungsenergie haben die Teilchen. Erst durch ihre Bewegung und Wechselwirkung mit einem allgegenwärtigen, Äther-artigen Quantenfeld entsteht im großräumigen Aufbau der Eindruck harter Materie. Dieser Mechanismus wurde im Jahr 2013 durch Peter Higgs entdeckt.
Dass mit unserer herkömmlichen Vorstellung der durch Isaac Newton beschriebenen „klassischen Mechanik“ etwas nicht stimmen kann, wird durch faszinierende Quanteneffekte deutlich: Alle Elementarteilchen weisen auch Wellen-Eigenschaften auf. Da sie mit sich selbst interferieren, scheinen sie an mehreren Orten gleichzeitig sein zu können. Es ist sogar möglich, dass die Zustandsänderung eines Elektrons auf Erden instantan (ohne Zeitverzögerung!) die Veränderung eines anderes Elektrons am Rand des Universums bewirkt. Während Einstein diesen Effekt noch „spukhafte Fernwirkung“ nannte, ist er heute als Quantenverschränkung bekannt.
Materie besteht also nicht aus Materie, sondern was die Welt im Innersten zusammenhält, sind Beziehungsstrukturen, Lebendigkeit, Symmetrie und Möglichkeiten; man könnte es auch Geist nennen. Der Heisenberg-Schüler Hans-Peter Dürr schlug vor, statt von Teilchen besser von „Passierchen“ zu reden (Geist, Kosmos und Physik, 2023). Das Universum ist kein mechanisches Uhrwerk, sondern ein offenes System mit dem Potenzial zu allem. Auf der Ebene des Allerkleinsten ist alles mit allem verbunden. Das Universum ist nicht aus Dingen (Teilchen) zusammengesetzt, sondern lässt sich besser als eine einzige, unauftrennbare Potenzialität verstehen. Daher sollten wir uns vom bisherigen, atomistischen Weltbild verabschieden und uns einem ganzheitlichen, holistischen Weltbild zuwenden.
Eine Lektion in Demut
Wir neigen dazu, uns als isolierte Individuen zu verstehen. Wir fühlen uns als autonome Personen, weil sich unser Gehirn mehr oder weniger unabhängig von der Umwelt entwickelt hat. Unser Bewusstsein kann ausschließlich auf die Sinnesreize und Erinnerungen dieses einen Gehirns zugreifen und fühlt sich deshalb dazu gehörig. Tatsächlich ist es aber so, dass wir auf Quantenebene in unausgesetzter Wechselwirkung mit der allumfassenden Lebendigkeit stehen. Selbst auf der gröberen, molekularen Ebene tauschen wir ständig Stoffe mit unserer Umwelt aus, sodass bereits nach einem Jahr etwa 98% der Atome unseres Körpers einmal ersetzt wurden. Wir sind keine Einzelgänger, sondern substanziell mit der Natur und insbesondere mit der Erde verbunden. Entsprechend sollten wir uns auch verhalten.
Die Antwort der Quantenphysik auf das alte Körper-Geist-Problem wäre: Es gibt nur Geist, und Materie ist dieser Geist in festgelegter, erlebbarer Form. In gewisser Hinsicht ist der Idealismus und der Panpsychismus gleichermaßen richtig. Doch Vorsicht: Obwohl die Hintergrund-Potenzialität als Geist bezeichnet wird, ist sie nicht unmittelbar gleichzusetzen mit Bewusstsein. Ob die Potenzialität in sich selbst auch ein Bewusstsein hat, ist an dieser Stelle nicht entscheidbar.
Kurz gesagt: Wir haben schlicht und ergreifend keine Ahnung, warum Materie und Geist so existieren, wie wir es beobachten. Es gibt unendlich viele Dinge im Universum, die wir nicht wissen. Vermutlich gibt es noch weitaus mehr Dinge, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie nicht wissen. Und dann gibt es noch Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie niemals wissen können, weil der naturwissenschaftlichen Methodik prinzipielle Grenzen gesetzt sind. Die von Werner Heisenberg entdeckte Unschärferelation offenbart einen solchen Erkenntnishorizont: Es ist grundsätzlich nicht möglich, Position und Impuls eines Elementarteilchens gleichzeitig exakt anzugeben.
Die Naturwissenschaft gleicht einem Fischer, dessen Netz eine bestimmte Maschen-Größe hat: Er wird nur Fische fangen, die größer sind als die Maschen – und daraus leicht den Fehlschluss ziehen, es gäbe keine kleineren Fische. Mit Aussagen über fundamentale Wahrheiten des Universums sollten wir daher äußerst vorsichtig sein.
Teleologisches Universum?

Bei der Wahrnehmung des Universums stolpert man über Phänomene, die auf eine zugrunde liegende Absicht oder Zielorientierung (Teleologie) hinweisen könnten. Würde sich das bestätigen, könnten wir von einem allumfassenden Bewusstsein ausgehen, das dem Universum zugrunde liegt. Drei Beispiele seien genannt, die für unsere Zeit und Kultur besondere Relevanz haben:
I. Feinabstimmung der Naturkonstanten
Die Naturkonstanten (z. B. die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum oder die Gravitationskonstante) sind extrem präzise abgestimmt. Es wirkt, als ob diese „Stellschrauben“ auf ein Ziel hin justiert worden seien, denn selbst eine minimale Abweichung würde das Universum, wie wir es erleben, unmöglich machen. Dagegen wird eingewendet, dass wir natürlich nur ein feinabgestimmtes Universum beobachten können, weil wir in jeder anderen Konfiguration nicht existieren könnten (Anthropisches Prinzip). Das wäre aber nur dann eine gute Erklärung für die Feinabstimmung, wenn es tatsächlich quasi unendlich viele weitere Universen gäbe, in denen andere Naturkonstanten gelten (Multiversum-Theorie). Über ein mögliches Multiversum können wir freilich keinerlei Aussagen treffen, und daher bleibt die teleologische Anmutung des Universums bestehen.
II. Biologische Evolution des Lebens
Das Leben auf Erden hat sich über lange Zeiträume entwickelt. Das wird deutlich aus dem archäologischen Fossilbericht, in dem einfache Lebensformen in den untersten Schichten liegen, während sie nach oben stetig komplexer werden. Doch wie es überhaupt zu fortpflanzungsfähigem Leben kam, verstehen wir nicht. Die Entwicklung von einfachen Aminosäure-Verbindungen hin zu funktionalen Proteinen ist ebenso ungeklärt wie die Frage nach der Entstehung der unheimlichen Informationsdichte in der DNA. Proteine und DNA müssten sich zeitgleich entwickelt und dann in der geschützten Hülle einer Zelle vereinigt haben, denn nur im Zusammenspiel ist eine Fortpflanzung möglich. Jeder Bestandteil für sich hat keinen erkennbaren evolutionären Vorteil. Diese nicht reduzierbare Komplexität sieht so aus, als ob sie zielgerichtet konstruiert wurde (Michael Behe, Darwins Black Box, 2007). Obwohl es denkbar ist, dass die Molekular-Biologie hierfür noch Erklärungen finden wird, weist der Status quo auf planvolles Design bzw. eine theistische Evolution.
III. Menschliche Sprachfähigkeit
Abstrakte, symbolhafte Sprache scheint vor ca. 40.000 Jahren entstanden zu sein – zeitgleich mit dem Aufkommen der ältesten Kunstobjekte. Davor konnten Homo erectus und seine Zeitgenossen durchaus schon 2 Millionen Jahre lang miteinander kommunizieren, aber wohl nur geringfügig besser als es in der modernen Affenwelt der Fall ist. Zu erwarten wäre nach Johann Gottfried Herder, dass sich Sprache langsam von einfachen Lauten hin zu ausgefeilter Grammatik entwickelt hat. Seltsamerweise deutet die Linguistik in eine ganz andere Richtung: Die frühesten erforschbaren Sprachen (z. B. das Sumerische vor ca. 5000 Jahren) sind gleichzeitig die Komplexesten, während Sprache im Lauf der Zeit degeneriert (Roger Liebi, Herkunft und Entwicklung der Sprachen, 2003, S. 182). Projiziert man diese Entwicklung weiter in die Vergangenheit, wird die Sprachentstehung zum Mysterium, denn sie verläuft genau umgekehrt zur biologischen Entwicklung des Menschen. Der Übergang von tierischer Kommunikation zu abstrakter Sprache wirkt wie ein geistiger Impuls; fast schöpferisch.
Keines dieser Beispiele beweist ein All-Bewusstsein. Es zeigt jedoch eindrucksvoll, warum Menschen seit jeher auf den Gedanken kommen, hinter unserer Wirklichkeit könnte Sinn und Ziel stecken.
Die unsägliche Transzendenz
Trotz aller Vorläufigkeit lässt sich der bisherige Weg wie folgt zusammenfassen: Das Einzige, was wirklich existiert, ist eine geheimnisvolle, raum- und zeitlose Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit manifestiert sich als Raumzeit in immer komplexer werdenden Strukturen, bis hin zu Lebewesen, durch die sich der Geist seiner selbst bewusst wird. Die eine, ewige, objektive Lebendigkeit entfaltet sich, bis sie sich in Form individueller, zeitlicher Subjekte (Bewusstseine) selbst wahrnehmen kann. Dabei ist unser menschliches Bewusstsein nicht zwangsläufig das Ende der Entwicklung. Insgesamt wirkt der Prozess planvoll, zielstrebig, faszinierend, aber auch geheimnisvoll und wunderschön. Es ist Menschen schon immer schwer gefallen, die richtigen Worte dafür zu finden. Deshalb wenden wir einen uralten Trick an und definieren die Lebendigkeits-Hintergrund-Äther-Geist-Potenzialität als das Göttliche.
Das Göttliche darf an dieser Stelle nicht personal aufgefasst werden. Es ist nur ein Begriff, um die Einheit, Schönheit, Ewigkeit und Ursächlichkeit von allem zu fassen. Gleichzeitig bleibt das Göttliche ungreifbar, unverfügbar und geheimnisvoll. Das Göttliche hat nichts mit den monotheistischen Gottesvorstellungen zu tun, sondern eher mit Natur- und Stammesreligionen oder der buddhistischen Weisheit. Ironischerweise ist die fiktive Jedi-Religion aus den Star Wars Filmen nah an der Wirklichkeit: „Die Macht ist es, die dem Jedi seine Stärke gibt. Es ist ein Energiefeld, das alle lebenden Dinge erzeugen. Es umgibt uns, es durchdringt uns, es hält die Galaxis zusammen“ (Obi-Wan Kenobi).
Alles darüber hinaus bleibt ungewiss. Da das Göttliche die menschliche Erkenntnisfähigkeit prinzipiell übersteigt (Transzendenz), werden wir es mit naturwissenschaftlicher Methodik niemals beweisen oder widerlegen können. An dieser Stelle könnten wir aufhören zu forschen und uns der Meditation hingeben, denn es ist denkbar, durch Kontemplation zu tieferer (subjektiver) Erkenntnis zu gelangen. Doch der einzige Weg zu weiterführender, objektiver (also für alle Menschen gleichermaßen einsichtiger) Erkenntnis liegt darin, dass sich das Göttliche von selbst zu erkennen gibt. An diesem Punkt kommen die vielen Traditionen ins Spiel, die eine aktive Offenbarung des Göttlichen innerhalb der Weltgeschichte behaupten und bezeugen.
Um eine solche Tradition (wie z. B. die Offenbarung des Koran durch den Erzengel Gabriel) greifen und beurteilen zu können, ist Literarkritik, Archäologie und ganz besonders die Geschichtsforschung gefragt. In der letztgenannten Disziplin können wir grundsätzlich nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über vergangene Ereignisse treffen. Wir versuchen, die Vergangenheit zu rekonstruieren, müssen aber im Blick behalten, dass es auch anders gewesen sein könnte.
Das Zeugnis der Vorfahren
Im weiteren Text werden wir nur einen Traditions-Strang weiter untersuchen, und zwar den der Bibel. Nicht aus Vorliebe zum Christentum, sondern weil die biblischen Texte eine wesentlich größere Überlieferung darstellen, auf der alle drei großen Monotheismus-Religionen basieren. Der Islam hat den Anspruch, durch den Koran eine angebliche Verfälschung der christlich-jüdischen Bibel zu korrigieren. Das Christentum hat die jüdische Bibel (als „Altes Testament“) zur Grundlage und deutet sie im „Neuen Testament“ aus. Aber die Torah des Judentums basiert ihrerseits auf den Mythen der alten Babylonier, Kanaanäer und Sumerer. Der mutmaßliche Anfang der Überlieferungskette liegt uns in Form sumerischer Keilschrift-Tafeln vor, die aus dem Staub der Jahrtausende ausgegraben wurden. Von Anbeginn der Geschichte haben Menschen ihre spirituellen Erfahrungen gesammelt, weiter erzählt, kommentiert und fortgeschrieben. Das Konzentrat dieser vielschichtigen Tradition liegt uns in der biblischen Textsammlung vor. Die gemeinsame Kernaussage besteht schlicht darin: Das Universum wurde in voller Absicht von einem personalen Gott erschaffen.
Der Charakter dieses einen Gottes unterscheidet sich in den einzelnen Religionen stark voneinander. Daher muss jede Behauptung einer Gottesoffenbarung individuell beurteilt werden. Viele Texte innerhalb der sumerisch-biblischen Überlieferung sind historisch schwer oder gar nicht mehr greifbar, darunter der Schöpfungsakt, die Gilgamesch- und Sintflut-Mythen, die Vätergeschichten um Abraham, Isaak und Jakob sowie der Exodus. Ganz anders verhält sich das mit der Lebens- und Auferstehungsgeschichte des Jeshua ben Josef aus Nazaret (zu deutsch: Jesus), worüber die vier Evangelien berichten. Denn die fällt in eine Epoche, in der bereits ein relativ modernes Verständnis von Geschichtsschreibung herrschte. Sollte Gott diesen Mann wirklich vom Tod zu neuem Leben auferweckt haben, könnten wir aus seiner Biografie viel über die ewige Transzendenz lernen.
Jesus‘ Einsatz für die Armen, Schwachen und Ausgegrenzten war legendär, gleichwie seine Kritik gegenüber den Mächtigen und Unterdrückern. Trotz seiner einfachen Vergangenheit als Handwerker war sein Selbstanspruch absolut: In der lateinischen Bibelübersetzung (der Vulgata) sagte er von sich selbst: „Ego sum via veritas et vita“ – Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Johannes 14,6).
Aufgrund seiner Konfrontation mit der politischen und religiösen Elite wurde Jesus der Blasphemie bezichtigt, ausgepeitscht und gekreuzigt. Doch selbst unter schlimmster Folter nahm er keines seiner Worte zurück, sondern lebte seine Lehre radikal zu Ende. Er sah nicht den Hass seiner Peiniger, sondern die tiefe Angst und Unsicherheit in ihren Herzen, und stieß den Schrei aus, der durch die Jahrtausende hallt: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23,34).
Die Anhänger des Weges
Wer sich der Jesus-Frage historisch nähert, wird feststellen, dass sein Leben und seine Hinrichtung unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus sogar in außerbiblischen Quellen (Flavius Josephus, Tacitus) gut belegt ist. Mit der Auferweckung ist das anders: Der Vorgang selbst wird nicht einmal in den Evangelien beschrieben. Stattdessen wird darin berichtet, wie die Jesus-Nachfolger das Grab leer vorfanden und zahlreiche Begegnungen mit ihrem auferweckten Meister hatten.
Schon im ersten Jahrhundert stand für alle Beteiligten fest, dass das von Legionären bewachte Grab tatsächlich leer war – die ungeklärte Streitfrage ist bis heute, wie es leer wurde. Dabei wird ein Scheintod ebenso diskutiert wie ein gestohlener Leichnam oder eine groß angelegte Verschwörung. Doch diese Erklärungen sind allesamt unschlüssig und passen überhaupt nicht zur politischen und soziokulturellen Gesamtsituation – außer derjenigen, dass Jesus wirklich auferweckt wurde, wie seine Nachfolger behaupten. Dummerweise passt diese Annahme nicht in unsere Erfahrungswelt. Es wurde eben noch nie beobachtet, dass ein Toter wieder lebendig wird.
Bemerkenswert ist allerdings, mit welcher Beharrlichkeit und Geschwindigkeit der Jesus-Weg zur größten aller Weltreligionen wurde. Die Ausgangsbedingungen hätten kaum schlechter sein können: Jesus war selten in großen Städten unterwegs, seine Jünger kamen hauptsächlich aus der sozialen Unterschicht und schließlich endete sein Leben mit der schändlichsten aller Strafen. Wie beim Bar-Kochba-Aufstand und unzähligen jüdischen Sekten-Führern wäre zu erwarten gewesen, dass die Bewegung damit verpufft. Weshalb geschah in diesem Fall genau das Gegenteil? Die Lehre des Nazareners, seine wundersamen Heilungen und der Bericht seiner Auferweckung verbreiteten sich unaufhaltsam.
Bereits im ersten Jahrhundert erreichte der Jesus-Weg Kleinasien, Griechenland und Rom, wovon insbesondere die Paulus-Briefe zeugen. Die Schriften der apostolischen Väter (Clemens von Rom, Ignatius von Antiochien, Polykarp von Smyrna, Papias von Hierapolis, …) und der Kirchenväter (Irenäus, Origenes, Tertullian, Eusebius, …) gewähren authentische Einblicke in die Situation der ersten vier Jahrhunderte. Die Christen weigerten sich, den ehrwürdigen, römischen Imperator anzubeten, während sie das Knie vor einem Gekreuzigten beugten. Für die antike Gesellschaft war das vollkommen unverständlich, und die Konsequenz waren blutige Verfolgungen. Die Kaiser Nero, Domitian und ihre Thronfolger machten unermesslich viele Jesus-Jünger zu Märtyrern, aber das Blut der Märtyrer wurde zum Samen der Kirche. Im vierten Jahrhundert anerkannte Kaiser Konstantin die Bewegung als erlaubte Religion (Konstantinische Wende); schließlich wurde sie zur Staatsreligion. Die Wirkungsgeschichte der Jesus-Bewegung war derart explosiv, dass wir bis heute unsere Jahreszählung daran orientieren und in jedem Dorf ein großes Gebäude mit einem Kreuz auf dem Dach steht.
Die steile Karriere des Christentums trotz massiver Widerstände ist ohne einen gewaltigen Impulsgeber kaum zu erklären. Wenn wir aber nur einen Augenblick lang annehmen, Jesus sei tatsächlich von den Toten auferweckt worden, dann entspricht die Kirchengeschichte genau dem, was man erwarten würde. Insofern ist die Auferweckung – aus historischer Sicht – die wahrscheinlichste Annahme.
Ein Abglanz des Göttlichen
Im Folgenden setzen wir eine historische Auferweckung des Jesus von Nazaret voraus. Wenn das wahr ist, hat das Leben dieses Mannes gleichsam die Signatur und Bestätigung des Göttlichen. Schon vor seiner Kreuzigung verstand sich Jesus als „Sohn Gottes“ in dem Sinn, dass durch seinen Lebensstil das Wesen des transzendenten Gottes erkannt werden kann. Entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses betrachtete er sich selbst nicht als Gott, sondern als dessen Abbild. Was bedeutet, dass wir es mit einem ausgesprochen menschenfreundlichen Gott zu tun haben.
In seiner Verkündigung bezog sich Jesus auf die hebräische Bibel und autorisierte sie dadurch gewissermaßen. Besonders an die Torah knüpfte er an und legte dar, wie sie uns eine wertvolle Orientierung sein kann. Daraus ergeben sich drei tiefgreifende Antworten auf die großen Fragen der Menschheit:
I. Woher kommen wir?
Die sumerisch-hebräische Tradition erzählt, wie in den unvorstellbaren Zeiträumen vergangener Äonen ein harmonisches, „sehr gutes“ Ökosystem erschaffen wurde, in dem die Menschheit im Einklang mit der Natur leben kann. Schöpfung ist aber nicht nur die erstmalige Entfaltung des Universums beim Urknall, sondern ein fortwährender Prozess, durch den Gott das Universum jeden einzelnen Augenblick davor bewahrt, in Chaos zu kollabieren.
Die Natur ist wild, abenteuerlich, und von Anfang an vergänglich, sodass jeder Atemzug eines Lebewesens als wertvolles Geschenk wahrgenommen werden kann. Die Gattung Homo ist in materieller Hinsicht aus der Natur hervorgegangen, aber durch ihre geistigen Fähigkeiten (Sprache und Bewusstsein) ein Abglanz des Göttlichen. Ein sehr alter Mythos berichtet davon, wie Gott den Geist des Menschen wachrief. Damit einher geht die Bürde, die Natur zu bewahren und zu gestalten. Es liegt theoretisch in der Macht des Menschen, aus der bedrohlichen Natur eine geordnete, friedvolle Umgebung zu schaffen. Wir sind sozusagen „kleine Götter“ oder Gottes-Werkzeuge, was einerseits unsere Menschenwürde begründet und andererseits ein Auftrag ist, der das Leben mit Sinn erfüllt.
II. Wie gelingt ein gutes Leben?
Menschen neigen dazu, ein gutes Leben als etwas Selbstverständliches zu betrachten, das wir bei Gott einfordern können. Daraus folgt ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Schöpfer, wenn wir mit Leid und Schmerz konfrontiert werden. Wir glauben, selbst am besten zu wissen, was gut für uns ist. Also müssen wir auch selbst für unsere Sicherheit sorgen – doch damit einher kommt die Angst, die Kontrolle über das Leben zu verlieren. Diese tiefe Angst führt wie eh und je zu Egoismus und Habgier und bringt die Schöpfung katastrophal aus dem Gleichgewicht. Indem wir uns dem Göttlichen entziehen, dem Ursprung und Bewahrer allen Lebens, verlieren wir (im Bilde gesprochen) das Paradies. Das ist die ganze Dramatik unseres Daseins.
In dieser Welt wird grenzenloses Unrecht getan. Aber jeder Täter ist auch ein Mensch, dem Unrecht getan wurde: Nur verletzte Menschen verletzen Menschen. Zu lernen, in „den Bösen“ auch Menschen zu sehen und in uns selbst auch „das Böse“ – das ist vielleicht die größte Herausforderung menschlicher Existenz. Um es in Jesu Worten zu sagen: „Wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben.“ (Matthäus 6,14+15).
Konkret rief Jesus zur Umkehr vom boshaften Lebenswandel und appellierte als Richtlinie an die „Zehn Gebote“ und die „Goldene Regel“. Doch das war nichts Neues. Das Revolutionäre des Jesus-Weges liegt in der Feindesliebe. Das bedeutet, um des Friedens Willen die eigenen Interessen zurückzustellen und sich lieber einmal mehr übervorteilen zu lassen. Es gilt, Empathie auch für Widersacher zu entwickeln und ihre Verletzungen zu sehen, die sie zu dem gemacht haben, was sie sind. Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Biografie des Nazareners illustriert, wie dieser Weg im Extremfall enden kann: Wahre Liebe gerät unter die Räder. Und dennoch ist es die einzige Möglichkeit, die Spirale der Gewalt langfristig zu beenden.
Die Frage ist: Warum sollte jemand eine solch irrsinnige Mission auf sich nehmen? Und woher die Kraft dazu nehmen? Die Antwort liegt in dem letzten, alles entscheidenden Punkt.
III. Wohin gehen wir?
Der Apostel Paulus und die anderen Jesus-Leute der ersten Generation hatten den Anspruch, die Lehre ihres Meisters unverfälscht wiederzugeben. Dabei genießt der erste Brief des Paulus an die Gemeinde zu Korinth ganz besondere Authentizität: Kein anderer Text des Neuen Testaments ist so gut und so früh bezeugt, nämlich um das Jahr 55 nach Christus. Gerade dieser Brief enthält ein berühmtes Kapitel zu unserem Schicksal nach dem Tod:
„Als letzter Feind wird der Tod weggetan. […] Wenn ihm [Gott] aber alles unterworfen ist, dann wird auch der Sohn [Jesus] selbst dem unterworfen sein, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem ist. […] Es wird gesät ein natürlicher Leib, es wird auferweckt ein geistlicher Leib. Wenn es einen natürlichen Leib gibt, so gibt es auch einen geistlichen.“ (1. Korinther 15,26-44).
Paulus zeichnet eine sehr konkrete, begründete Hoffnung darauf, dass nicht nur der Nazarener, sondern eines Tages alle Menschen zu neuem Leben auferweckt werden. Gottes Handeln an Jesus ist Beispiel und Beweis dafür, dass eine Auferweckung grundsätzlich möglich ist. Nach der Auffassung des Apostels ist die neue Seins-Weise der Auferweckten gekennzeichnet durch Eins-Werdung mit dem Göttlichen, während gleichzeitig unsere Individualität durch einen „geistlichen Leib“ erhalten bleibt. Damit verbunden ist die Vorstellung einer neuen Welt in Raum und Zeit, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen – von Juden ehrfurchtsvoll Reich der Himmel genannt.
Die Aussicht auf neues, qualitativ hochwertiges Leben nach dem Tod kann in Menschen ungeahnte Kräfte freisetzen, denn dadurch werden die Strapazen des Diesseits relativiert. Es geht nicht darum, sich auf ein Jenseits zu vertrösten und sich möglichst aus der gegenwärtigen Welt zurückzuziehen. Sondern aus einer hoffnungsvollen Zukunfts-Perspektive können wir Kraft ziehen, um desto mehr in der Gegenwart aktiv zu werden und die Welt zum Guten zu verändern.
Fazit und Schlusswort
Wir sind Teil einer einzigen, ewigen Instanz, die das Universum formt und gleichzeitig selbst darin lebt. Zwar schreiten wir in der Zeit voran, aber auch wenn der physische Tod dazwischen kommt, werden wir im göttlichen All-Bewusstsein weiter bestehen. Die genaue Beschaffenheit dieser Daseins-Form ist uns verborgen.
Wenn unser Gehirn nicht mehr funktioniert, erhält das Bewusstsein keine Sinneseindrücke mehr. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass es außerhalb der Raumzeit eine andere Art von Wahrnehmung gibt, an der „mein“ Bewusstsein partizipiert. Wie sich dieses Bewusstsein ohne die Schranken von Raum, Zeit und Individualität anfühlt, übersteigt unsere Vorstellungskraft – ein „ich“ gibt es dann nicht mehr. Unsere Personalität besteht quasi nur als Idee im göttlichen Bewusstsein fort. Das entspricht am ehesten dem Konzept der unsterblichen Seele vieler Religionen.
Das Tröstliche daran ist, dass mit Blick auf die Jesus-Geschichte ein „Wiedereinstieg“ in körperliche Individualität möglich ist: Jesus sei mehrfach in einem neuartigen Körper erschienen, der räumlichen Grenzen nicht unterworfen war. Das Göttliche kann die Wirklichkeit nach Belieben formen und somit auch jedes Gehirn mit allen Erinnerungen wiederherstellen. Dass eine Auferweckung aller Menschen tatsächlich geschehen wird, ist eine der größten Botschaften des Jesus-Weges.
Nur in der Rückbesinnung auf die ewige Potenzialität und unsere Teilhabe am Göttlichen ist es möglich, angstfrei zu leben, und nur in dieser Freiheit können wir unseren Mitmenschen – sogar unseren Feinden – wirklich barmherzig begegnen. Das ist der Weg.
Es ist an uns, diese Aussagen mit einem ehrlichen, demütigen Herzen zu überprüfen. An der Geschichte vom menschgewordenen Gottessohn scheiden sich die Geister. Wagst du, wie Pilatus vor 2000 Jahren, zu fragen: „Quid est veritas?“ – Was ist Wahrheit?