Der Auftakt der Bibel im Kontext sumerischer Mythologie

Das erste Kapitel der Bibel – so einfach und klar formuliert, und doch so ambivalent interpretierbar. In sechs Tagen schuf Gott Himmel und Erde – werden wir jemals begreifen, was das bedeutet?

Aller Anfang ist schwer

Das Buch Genesis (hebr. bereschit = „im Anfang“) ist das erste Buch der hebräischen Bibel. Es ist wegweisend für jede weitere Auslegung und das Gesamtverständnis der Heiligen Schrift. Daher sollten diese ehrwürdigen Texte ganz besonders sensibel und gründlich analysiert werden. Ein Blick auf das kulturelle und zeitliche Umfeld und die weltanschaulichen Hintergründe sind unerlässlich.

Untersucht man das epochale Werk mit einem historisch-kritischen Ansatz, ergibt sich eine wahrscheinliche Entstehung in der Königszeit Israels (ab ca. 1000 v. Chr.). Man schließt das unter anderem aus der Erwähnung von israelitischen Königen (Genesis 36,31) und domestizierten Kamelen (Genesis 37,25) – beides gab es zuvor nicht. Eine genaue Analyse der einzelnen Textabschnitte zeigt, dass das Buch aus mehreren Einzelquellen entstanden ist. Besonders zu erwähnen sind die „Jahwistische Ur- und Vätergeschichte“ (J) und die so genannte „Priesterschrift“ (P). Beide Quellen wurden ineinander verwoben und vielfältig ergänzt, wobei die Endredaktion des Textes um 400 v. Chr. vermutet wird.

Steintafeln mit Bibeltexten (c) The Bible Miniseries

Dagegen beharren sowohl die jüdische Überlieferung als auch konservativere, christliche Theologen darauf, dass die Genesis als erstes der fünf Bücher Mose auch von Mose persönlich verfasst wurde. Dies sei nach streng biblischer Chronologie um das Jahr 1600 v. Chr. geschehen. Der Führer Israels habe also die Erzählungen seiner Vorväter gesammelt und (unter Anleitung Gottes?) in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht.

Glücklicherweise halte ich es für unnötig, diese beiden Sichtweisen gegeneinander auszuspielen. Es ist denkbar, dass ein historischer Mose (oder andere Autoren) eine ursprüngliche Fassung der Genesis aus älteren Quellen zusammengestellt haben. Dann wurde der Text in der weiteren Überlieferung immer wieder angepasst und modernisiert – Indikatoren dafür sind Anachronismen wie die Kamel-Karawanen. Die zeitgenössische Ausschmückung einer Geschichte bedeutet aber noch lange nicht, dass auch die grundlegenden Sachverhalte (die Mytheme) verändert wurden.

Vor der Erfindung der Schrift war die mündliche Tradierung von historischen Ereignissen oder kosmologischen Konzepten üblich. Das fehlerfreie Auswendiglernen und Rezitieren der Texte wurde im alten Orient entsprechend ernst genommen. Natürlich wurden Inhalte, denen eine hohe Sakralität beigemessen wurde, getreuer überliefert als solche, die lediglich der Unterhaltung dienten. Daher können die Kern-Gedanken im ersten Buch Mose aus einer Zeit weit vor Mose künden, auch wenn sie im Verlauf ihrer Geschichte die eine oder andere Anpassung erfahren haben und schließlich – von wem auch immer! – in ihre heutige Form gebracht wurden.

Die ersten 11 Kapitel der Genesis enthalten die so genannten Urgeschichten: Ein Schöpfungs-Mythos, ein paar Stammbäume, die Sintflut-Katastrophe und der Turmbau zu Babel. Und ganz am Beginn der Genesis steht noch eine Art Auftakt: Die berühmte Schöpfungserzählung der sieben Tage (Kapitel 1,1 – 2,3). Dieser relativ knappe Text ist das Thema des vorliegenden Beitrags und ein Meisterwerk, das eigentlich nur unterschätzt werden kann.

Im Zuge von Ausgrabungen im 19. und 20. Jahrhundert wurden jeweils auch nicht-hebräische Versionen der Urgeschichten auf Keilschrift-Tontafeln wiederentdeckt. Viele dieser paganen Mythen stammen aus einer Zeit, als Mose noch nicht geboren war. Das bedeutet, die biblischen Texte sind tatsächlich (nur) ein kulturell akzentuierter Meilenstein innerhalb einer größeren Überlieferungskette. Dass die Genesis-Urgeschichten eine bewusste Antwort auf mythische Vorstellungen des 2. Jahrtausends v. Chr. darstellen, wurde in der Fachwelt schon viel diskutiert. Doch um die Antwort zu verstehen, müssen wir erst einmal wissen, worauf geantwortet wurde.

Im vorderen Orient der fernsten Vergangenheit war eine Hochkultur ganz besonders prägend: Die Sumerer. Um die Genesis-Texte richtig einordnen zu können, müssen wir uns in den Denk-Horizont dieses faszinierenden Volkes hineinversetzen. Was waren ihre Ängste und Hoffnungen? Welche Geschichten kannten sie und welchen Göttern dienten sie? Es folgt ein Crash-Kurs in die sumerisch-babylonische Weltanschauung!

Edle Herren einer vergessenen Welt

Statue des sumerischen Herrschers Gudea I., um 2100 v. Chr. (Louvre)

Die Bezeichnung Sumerer ist eigentlich eine Fremdbezeichnung. Sich selbst nannten die Sumerer sag-gig-ga („Schwarzköpfige“) und ihr Land ki-en-gir („Land der edlen Herren“). Zwischen ca. 4000 und 2340 v. Chr. waren die Sumerer die dominierende Kultur Mesopotamiens; man hat sie gar als Wiege der Menschheit bezeichnet. Sie betrieben Ackerbau, legten Kanäle an und bauten die ersten großen, befestigten Städte. Nebenbei erfanden sie um das Jahr 3300 v. Chr. auch noch die Schrift, um ihre Wirtschaft besser organisieren zu können: Mit Hilfe eines Holzgriffels wurden zunächst einfache Piktogramme und später abstraktere, keilförmige Zeichen in weichen Ton gedrückt. Diese Keilschrift machten sich später zahlreiche andere Völker (Babylonier, Assyrer, Elamiter, Hethiter, etc.) zunutze und bildeten damit ihre eigenen Sprachen ab.

Besonders speziell war die „einheimische Sprache“ der Sumerer, eme-ĝir: Sie war isoliert und agglutinierend, das heißt es besteht keine Verwandtschaft zu irgendeiner anderen Sprache dieser Welt und ihre Grammatik beruht auf dem „Ankleben“ von Affixen an die Grundworte. Als um 2000 v. Chr. das letzte sumerische Reich (die dritte Dynastie von Ur) unterging, begann die Sprache auszusterben. Erstaunlicherweise wurde sie noch bis ca. 100 v. Chr. von den Babyloniern und Assyrern als eine Art Gelehrtensprache verwendet, wie das heutige Latein. Ein Hinweis auf die enorme Bedeutung, die den sumerischen Texten beigemessen wurde!

Doch dann geriet die Hochkultur der Sumerer in Vergessenheit. Kein klassischer Geschichtsschreiber der Antike erwähnt sie. Jahrhunderte lag das einst so prachtvolle Land der „Schwarzköpfigen“ im Nebel der Vergangenheit. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte die Keilschrift entziffert werden, und damit einher ging die Differenzierung der sumerischen Sprache von den anderen Sprachen, die in Keilschrift dargestellt wurden. Der deutsch-jüdische Altorientalist Jules Oppert (1825–1905) war der erste, der die Sprache (vom akkadischen šumeru) als „sumerisch“ bezeichnete.

Heute blicken wir auf hunderttausende Keilschrift-Tontafeln, die zum Teil sehr fragmentarisch erhalten sind. Sicherlich stellen diese Texte keinen simplen Querschnitt der sumerischen Kultur oder Religion dar. „Die“ sumerische Religion gibt es gar nicht! Ideen über Gott und die Welt wandeln sich im Verlauf von 2.000 Jahren. Darüber hinaus waren sie auch lokal verschieden, denn die meiste Zeit über hatte in Mesopotamien jeder Stadtstaat seine eigenen bevorzugten Götter und Kulte. Natürlich kam es innerhalb dieser Stadtstaaten auch zu Kriegen und Allianzen, die wiederum die Einflussbereiche der Götter verschoben; kurzum: Die sumerische Kultur war höchst dynamisch.

Sumerische Kosmogonie

Die Flüsse Euphrat und Tigris im fruchtbaren Halbmond

Wenn es überhaupt eine Konstante in der sumerischen Religion gegeben hat, dann diese: Die Vorstellung der göttlich-präexistenten Elemente An (Himmel) und Ki (Erde). In einer kosmischen „Hochzeit“ vereinen sich der männliche An und die weibliche Ki und tun das, was unpersönliche Naturkräfte im ewigen Kosmos eben so tun: Sie haben Sex. Himmel und Erde berühren sich, wodurch unsere Welt entsteht und fruchtbar wird. Aus dem Samen von Vater An füllen sich die Flüsse Euphrat und Tigris – Für sumerische Ohren die absolute Grundlage des Lebens. Fun Fact: Im Sumerischen ist Wasser und Same das gleiche Wort. Prost!

In den frühesten Schichten der sumerischen Mythologie scheint An ein unbelebtes Element gewesen zu sein, das später zunehmend animiert gedacht wurde: Der Götterhimmel wurde zum Himmelsgott. Übrigens dachten die Sumerer beim Himmel an keine geistige, transzendente Welt, sondern einfach an den für Menschen unzugänglichen „oberen Teil“ der Schöpfung, in dem die Götter wohnen. Besonders deutlich wird das im Etana-Mythos, in dem der Held versucht, auf dem Rücken eines Adlers zum Göttervater zu gelangen.

Auch Ki wurde von den Mesopotamiern gewissermaßen personifiziert, indem sie mit der Muttergöttin Namma gleichgesetzt wurde. Namma residierte in den Tiefen eines unterirdischen Süßwasser-Ozeans, gleich einer überdimensionalen Gebärmutter: Der Gedanke war, dass alles Leben aus dem Schoß von Mutter Erde hervorkommt, wie man es bei Pflanzen beobachtet.

Mit dem Beginn der altbabylonischen Zeit (2. Jahrtausend v. Chr.) und dem zunehmenden Einfluss der semitisch geprägten Akkader trat bei den Sumerern wieder ein neuer Gedanke zutage: Der uralte Gott Enlil habe die allgemein bekannte Einheit aus An und Ki zertrennt! Durch diesen Schöpfungs-Akt sei, quasi zwischen Himmel und Erde, unsere bewohnbare Welt mit Luft zum Atmen entstanden. Es ist gewiss kein Zufall, dass en-lil übersetzt etwa Herr des Windes lautet. Es dauerte nicht lange, da hatte sich Enlil als oberster Gott des Pantheons durchgesetzt: König von Himmel und Erde nannten sie ihn; König der Länder, Vater der Götter, großer Berg Nunamnir. Zwar blieb An irgendwie im Hintergrund der untätige Boss, aber Enlil war effektiv die Macht im Universum. Wir können davon ausgehen, dass er mit dem obersten Gott El der Kanaanäer identisch ist. Sehr wahrscheinlich wurde Enlil aus der Semitischen in die sumerische Welt importiert, wie der Altorientalist Jan Lisman in einer umfassenden Vergleichsstudie sumerischer Texte herausfand (At the beginning. Cosmogony, theogony and anthropogeny in Sumerian texts, 2013, S. 67).

Mušhuššu (babylonisch: schreckliche Schlange) auf dem Ištar-Tor von Babylon, heute im Pergamon-Museum in Berlin

Die späteren Babylonier übernahmen viele sumerische Mythen, verzerrten sie aber gern in eine martialische Richtung. Dieses Schicksal traf auch Namma: Sie war bei den Babyloniern keine fürsorgliche Mutter mehr, sondern eine bestialische Urgewalt. Bisher galt Wasser in der Kosmogonie als positives, schöpferisches, der Fruchtbarkeit förderliches Element – nun wurde Namma als chaotischer Ur-Ozean gefürchtet und Tiamat genannt! Die Hydra, Skorpion-Monster, Seeschlangen, Drachen, Dämonen; alles entsteigt den dunklen Fluten Tiamats. Dadurch wird ausgedrückt, wie tödlich die Welt ohne die erhaltende Macht Gottes wäre.

Im Enūma Eliš, dem berühmten babylonischen Schöpfungs-Epos, müssen Tiamat und ihre Horden von dem kriegerischen Gott Marduk gebändigt werden, um Leben zu ermöglichen. Man dachte sich Tiamat als menschenfeindlichen Salzwasser-Ozean und stellte ihr das nützliche Süßwasser sogar gegenüber, aus dem sie ja eigentlich hervorgegangen war. Das ist der Beginn des (wahrscheinlich west-semitischen) Chaoskampf-Motivs: Ein Gott muss das Chaos ständig in Schach halten, damit unsere Welt existieren kann.

Mit dieser groben Vorstellung von der sumerisch-babylonischen Gedankenwelt wagen wir uns nun an den Genesis-Auftakt.

Sieben ist meine Zahl

Unser Textabschnitt, das Sieben-Tage-Werk, ist durch mehrere, sich wiederholende Formulierungen strukturiert, ja rhythmisiert. Die Wichtigste davon lautet „Es wurde Abend und es wurde Morgen“, denn damit werden die einzelnen Tage abgegrenzt. Der Text gehört keiner modernen, literarischen Textgattung an, jedoch gibt es im Umfeld der Bibel auch andere Mythen und Epen, die einer solchen 7-Tages-Struktur folgen. Beispielswiese lesen wir in der Sintflut-Episode des altbabylonischen Gilgamesch-Epos:

„Als am Berge Nimusch das Schiff auf Grund lief,
Hielt Nimusch, der Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wanken.
Einen Tag, einen zweiten Tag hielt Nimusch, der Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wanken.
Einen dritten Tag, einen vierten Tag hielt Nimusch, der Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wanken.
Einen fünften Tag, einen sechsten Tag hielt Nimusch, der Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wanken.
Doch als der siebente Tag anbrach,
Holte ich eine Taube hervor und ließ sie frei.“

Gilgamesch-Epos, Tafel 11, Zeile 142-147

Dabei handelt es sich nicht um Tage im Sinne einer 24-stündigen Erdumdrehung, sondern um ein archaisches Stilmittel, das Heptameron-Schema, mit dem eine langsame Zuspitzung auf ein Finale hin ausgedrückt werden kann (Johannes Bauer, Die literarische Form des Heptaemeron, 1957, in: Biblische Zeitschrift Band 1, Ausgabe 2, S. 273-277). Die Sieben ist dabei die Zahl der Vollendung; der siebte Tag drückt die Pointe aus.

Da das Grund-Schema äußerst simpel ist, eröffnet sich dem Schreiber die Möglichkeit, durch Abweichung vom Schema Dinge zu betonen oder den Leser indirekt auf etwas hinzuweisen. In der biblischen Erzählung wird davon ausgiebig Gebrauch gemacht: Von den sieben Tagen wird an nur sechs Tagen etwas erschaffen, dafür haut der Schöpfer am dritten und sechsten Tag jeweils zwei Werke aus seiner himmlischen Kreativbox. Insgesamt sind es also acht Schöpfungswerke. Diese bewusste Störung der Struktur enthält mit Sicherheit einen tieferen Sinn. Ich weiß nur noch nicht so genau, welchen.

Wohlan, arbeiten wir uns durch die sechs Schöpfungstage vor zum Wochenende!

Erster Tag: Von Licht und Finsternis

„Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Und Gott sah das Licht, dass es gut war; und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag.“

Genesis, Kapitel 1, 1-5 (ELB)

Für die Sumerer war die Sache klar: Himmel (An) und Erde (Ki) sind Teil der materiellen Welt. Ihre kosmogonische Vorstellung ist immanent, das heißt die Schöpfung entsteht und besteht aus sich selbst heraus. Dem entgegnet die Genesis: Gott, verstanden als externe Macht, schuf An und Ki. Der Ursprung allen Seins ist transzendent, er liegt außerhalb der erschaffenen Welt, für Menschen weder beschreibbar noch greifbar, auch nicht auf dem Rücken eines Adlers. Und, für die Hebräer mindestens genau so wichtig: Es gibt nur ein schöpferisches Element, nicht zwei. Ki wird also ihrer göttlichen Stellung beraubt und zu einem schlichten Haufen lebloser Erde degradiert.

Hat ein transzendenter Gott Raum und Zeit erschaffen?

Für den Anfangszustand des Planeten, wüst und leer, stehen im hebräischen Text zwei Worte, die auch aus deutschen Kinderzimmern bekannt sind: tohu wabohu. Die Erde war ungeformt und ungeordnet, und Finsternis war über der Tiefe. Mit der Tiefe (hebr. tehom) ist der Ur-Ozean gemeint, von dem Ki bedeckt war. Die Begriffe tohu und tehom sind etymologisch verwandt mit Tiamat! Alle menschenfeindlichen Chaos-Mächte – Finsternis, Ödnis und Meer – sind in diesen ersten Zeilen vereint.

Der babylonische Zuhörer würde nun den heroischen Kampf auf Leben und Tod zwischen einem Gott und Tiamat erwarten. Doch Fehlanzeige! Stattdessen liest man nüchtern: „Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“ Der transzendente Gott muss sich auf den Chaoskampf nicht einlassen, er ist über alle Aspekte der Schöpfung ganz und gar erhaben. Er muss nicht einmal einen Finger krümmen, sondern ruft die kosmische Ordnung aus dem Nichts (ex nihilo) ins Dasein: Es werde Licht!

Aus der Ur-III-Zeit (ca. 2100–2000 v. Chr.) stammt ein kleines Tontäfelchen, das den lichtlosen Urzustand der Erde aufgrund des noch nicht vollzogenen Geschlechtsaktes von Himmel und Erde auffallend ähnlich beschreibt:

„Der mächtige An erleuchtete den Himmel; die Erde verdunkelte er. […]
Die weite Erde war noch nicht kultiviert. […]
An lebte zusammen mit Ki,
[Doch] als Ehefrau hatte er sie noch nicht genommen.
Der Tag dämmerte noch nicht; Nacht hatte sich über ihr [der Erde] ausgebreitet.“

NBC 11108, Zeile 1-7, publiziert von Jan Lisman, Übersetzung aus dem Englischen von mir

Ist es nicht erstaunlich, dass der hebräische Text mit dieser kosmologischen Vorstellung viel mehr gemeinsam hat als mit dem Chaoskampf im rund 500 Jahre jüngeren Enūma Eliš? Dem oder den Genesis-Autor(en) war die frühere Vorstellung von der Erde als Muttergöttin Namma scheinbar geläufiger als die des späteren Chaos-Monsters Tiamat. Tatsächlich scheint Enūma Eliš wenig bis gar keinen Einfluss auf den Genesis-Text gehabt zu haben (Peeter Espak, in: Das Menschenbild in den Konzeptionen der Religionen, Hrsg. Tarmo Kumar und Rüdiger Schmitt, Ugarit-Verlag, Münster 2012, S. 58). Zwar wird der Kampf zwischen Gott und Seeschlange in anderen Büchern der hebräischen Bibel reflektiert (Psalm 74,12-16; Jesaja 27,1), aber im Buch Genesis und den frühen Mythen Mesopotamiens ist er quasi unbekannt.

Zweiter Tag: Das Himmelszelt

Wie der erste Schöpfungstag das Konzept des chaotischen Ur-Ozeans aufgreift, so verarbeitet der zweite Tag das Konzept der Trennung von Himmel und Erde:

„Und Gott sprach: Es werde eine Wölbung mitten im Wasser, und es sei eine Scheidung zwischen dem Wasser und dem Wasser! Und Gott machte die Wölbung und schied das Wasser, das unterhalb der Wölbung, von dem Wasser, das oberhalb der Wölbung war. Und es geschah so. Und Gott nannte die Wölbung Himmel. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein zweiter Tag.“

Genesis, Kapitel 1, 6-8 (ELB)

Die Sumerer (und auch die späteren Kanaaniter) unterschieden in ihrer Kosmologie eine untere Flut, die dem Süßwasser-Ozean unterhalb der Erde entspricht, und eine obere Flut überhalb des Firmaments. Logisch, oder? Woher sollte sonst der Regen kommen? Der Lebensraum des Menschen entstand einst durch die Trennung dieser himmlischen Wasser von den irdischen Wassern. Unsere Atmosphäre wurde sozusagen in die Wassermassen eingeschoben. Dieser Schöpfungsakt wurde in Sumer dem Gott Enlil zugeschrieben, dem Herrn des Windes. Im Prolog des altbabylonischen Epos Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt klingt das so:

„In jenen Tagen, in jenen fernen Tagen,
In jenen Nächten, in jenen lange zurückliegenden Nächten,
In jenen Jahren, in jenen entfernten Jahren,
Damals zu Urzeiten, als die Unordnung strahlend erschienen war,
[…]
Als der Himmel von der Erde getrennt wurde
Als die Erde vom Himmel abgegrenzt wurde …“

Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt, Zeile 1-10 (Übers. nach Pascal Attinger, aus: „Erzählungen aus dem Land Sumer“, Konrad Volk)
Neuassyrisches Rollsiegel aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., das vielleicht die Tötung Tiamats illustriert.

Seit dieser Scheidung ist Enlil verantwortlich für die Aufrechterhaltung der kosmischen Ordnung. Doch mit dem Einfluss der Babylonier bestieg in deren Vorstellung Marduk den höchsten Himmelsthron. Sein Aufstieg wird im Enūma Eliš besungen und legitimiert, und natürlich wird ihm mit dem Sieg über Tiamat auch die Trennung von Himmel und Erde zugeschrieben. Marduk zerteilt den Kadaver der Tiamat in zwei Hälften. Aus der einen Hälfte formt er die Erde, aus der anderen den Himmel. Die Idee ist klar: Der gute Schöpfer verbannt das Chaos in ein oben und unten, während dazwischen unsere geordnete Welt besteht.

Der Bibeltext greift dieses „heidnische“ Konzept auf: Es geht um den Gott, der Himmel und Erde getrennt hat. Da wussten alle Bescheid. Doch die Genesis wird diesen Gott etwas anders darstellen als den autoritären Enlil der schwarzköpfigen Leute und den brutalen Marduk der babylonischen Eroberer.

Ein wenig rätselhaft ist, dass bei diesem Schöpfungswerk – und nur bei diesem! – die stets wiederkehrende Bemerkung „Gott sah, dass es gut war“ fehlt. Das Chaos wurde nur gebunden, nicht ausgelöscht! Was, wenn es eines Tages erneut über die Welt hereinbricht? Fast liest man zwischen den Zeilen: Hier muss Gott noch mal ran. Übrigens war in Mesopotamien keineswegs klar, ob der Schöpfer überhaupt in der Lage wäre, einen zweiten Chaoskampf zu bestehen. Jedes heftigere Unwetter muss den Menschen einen Schauer über den Rücken gejagt und ihnen die Fragilität ihrer Welt bewusst gemacht haben. Wenn dein Gott mit den Mächten der Finsternis ringt und du bei ungewissem Ausgang nur hilflos mitfieberst – da lernst du beten. So richtig gut ist das nicht.

Dritter Tag: Befruchtung des Erdbodens

Das Himmelszelt ist ausgespannt, aber der Erdboden ist immer noch vom Chaoswasser bedeckt. Nach der Abtrennung des Chaos in vertikaler Richtung (oben–unten) folgt nun die Abgrenzung in horizontaler Richtung, wodurch die Kontinente sichtbar werden. Es ist das Erste der zwei Schöpfungswerke dieses Tages:

„Und Gott sprach: Es soll sich das Wasser unterhalb des Himmels an einen Ort sammeln, und es werde das Trockene sichtbar! Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meere. Und Gott sah, dass es gut war.“

Genesis, Kapitel 1, 9+10 (ELB)

Die sichtbar gewordene Erde (Ki) ist bisher nicht mehr als ein kahler, bestenfalls matschiger Felsbrocken. Sie trägt keinen Samen in sich. Im sumerischen Konzept der Hochzeit von Himmel und Erde würde An die Geliebte Ki nun ins Schlafgemach entführen und seine göttliche Liane schwingen. Mit dem himmlischen Samen wäre sie dann in der Lage, Vegetation hervorsprießen zu lassen. Doch der Genesis-Text stellt klar: Es ist der eine, transzendente Gott, der Leben aus Ki hervorbringt. Dazu muss er freilich keinen Geschlechtsverkehr mit ihr haben. Die Erde ist überhaupt kein schöpferisches Element, sondern selbst Teil der Schöpfung!

Um das eindeutig klarzustellen, folgt ein zweites Schöpfungswerk des dritten Tages. Der immanente (und nun auch impotente) An wird darin nicht einmal erwähnt. Bemerkenswert ist allerdings, wie stark der Same betont wird. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass er nicht der Anfang von Allem ist, sondern lediglich das Mittel zur weiteren Reproduktion:

„Und Gott sprach: Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut, das Samen hervorbringt, Fruchtbäume, die auf der Erde Früchte tragen nach ihrer Art, in denen ihr Same ist! Und es geschah so. […] Und Gott sah, dass es gut war. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein dritter Tag.“

Genesis, Kapitel 1, 11-13 (ELB)

Eine wichtige Beobachtung an dieser Stelle ist, dass die Erschaffung der Pflanzen ganz natürlich beschrieben wird. Sie sprießen aus dem Erdboden hervor, wie wir es in jedem Frühling beobachten. Dieses Schöpfungswerk wurde offensichtlich als kontinuierlicher Prozess verstanden, nicht als plötzlicher Akt.

Vierter Tag: Der Zeitfaktor

Das Keilschrift-Zeichen UD stellt die zwischen zwei Bergen aufgehende Sonne dar.

Die Erschaffung der Lebensräume ist mit den ersten drei Tagen abgeschlossen. Im sumerischen Weltbild fand dies alles in einem ewigen, embryonalen Ur-Universum statt. So etwas wie Zeit gab es noch nicht. Wenn sumerische Texte auf diesen Urzustand Bezug nehmen, geschieht das mit dem Terminus ud-ri-a oder Varianten davon. Übersetzt bedeutet das etwa „an jenem weit entfernten Tag“. Der zuvor zitierte Text aus Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt ist ein schönes Beispiel dafür.

Die Sonne existierte an diesem „Tag“ noch nicht; der Sonnengott Utu war noch nicht geboren. Ohne ihn lässt sich die Zeit nicht in Tage einteilen, ganz zu schweigen von der Nutzlosigkeit der Sonnenuhren. Die Grundlage jeder Zeitmessung fehlte. Dass das Konzept der Zeit für die Sumerer eng mit der Bewegung der Sonne zusammenhing, beweist auch das Keilschrift-Zeichen UD, das im Grunde eine Stilisierung der aufgehenden Sonne darstellt: Dieses Symbol kann Sonne bedeuten, aber auch Tag! (Jan Lisman, At the Beginning, S. 188)

Wenn am vierten Tag – genau in der Mitte der Schöpfungswoche – nun Sonne, Mond und Sterne erschaffen werden, ist das gleichbedeutend mit dem Einsetzen der Zeit. Die Zeitbestimmung wird auch im Bibeltext ausdrücklich betont:

„Und Gott sprach: Es sollen Lichter an der Wölbung des Himmels werden, um zu scheiden zwischen Tag und Nacht, und sie werden dienen als Zeichen und [zur Bestimmung von] Zeiten und Tagen und Jahren; und sie werden als Lichter an der Wölbung des Himmels dienen, um auf die Erde zu leuchten! Und es geschah so. […] Und Gott sah, dass es gut war. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein vierter Tag.“

Genesis, Kapitel 1, 14-19 (ELB)

Die vier Dimensionen des Raum-Zeit-Kontinuums sind am vierten Tag vollständig. Episch, oder? Mit dem sumerischen Hintergrundwissen liegt es nahe anzuehmen, dass auch die hebräischen Genesis-Schreiber die Schöpfungswoche nicht als sprichwörtliche Tage meinten, sondern als Beschreibung zeitloser, fernliegender Prinzipien.

In der Art, wie Sonne und Mond hier beschrieben werden, steckt aber noch mehr. Denn die Gestirne werden mit den erschaffenen Lebewesen auf eine Stufe gestellt. Mehr noch, sie sollen ihnen dienen! Und das in einem Umfeld, in dem es völlig normal war, Sonne, Mond und Sterne als Götter zu verehren. Dagegen ist der Zweck der Gestirne im Buch Genesis rein funktional: Uhren und Lampen! Eine revolutionäre Kampfansage an jede Astral-Religion. Der ehrwürdige Sonnengott Utu! Eine Uhr! Blasphemie!

Fünfter Tag: Das große Wimmeln

„Und Gott sprach: Es soll das Wasser vom Gewimmel lebender Wesen wimmeln, und Vögel sollen über der Erde fliegen unter der Wölbung des Himmels! Und Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle sich regenden lebenden Wesen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art, und alle geflügelten Vögel, nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und vermehrt euch! […] Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein fünfter Tag.“

Genesis, Kapitel 1, 20-23 (ELB)
Möwen über dem Meer (c) Julia Kuzenkov | Pexels.com

Hier werden das gebändigte Meer und der erschaffene Luftraum bevölkert und mit dem Auftrag zur Reproduktion beginnt der Kreislauf des Lebens. Man kann sich fragen, warum die Landtiere an diesem Tag fehlen und erst am nächsten Tag – gemeinsam mit dem Menschen – erschaffen werden.

Eine naheliegende Erklärung ist, dass wir hier zwei ökologische Bereiche haben, die dem Menschen eher fernliegen. Die Tiefen des Ozeans waren für die Menschen schon immer Sinnbild des Totenreiches und die teils schreckenerregenden Meeresbewohner ein Gleichnis aller unkontrollierbaren Mächte. Dagegen galten die Vögel, denen scheinbar der Weg in den Himmel offen stand, als Boten der Götter. Meerestiere und Vögel repräsentieren sozuzsagen die Grenzen der Menschenwelt. Sie hausen in den Wurzeln und der Krone des Weltenbaums, während wir Zweibeiner den Stamm bewohnen.

Sechster Tag: Ein Bild Gottes

Der letzte Schöpfungstag enthält wie schon erwähnt zwei Schöpfungswerke: Die Landtiere und den Menschen. Aus Platzgründen werde ich die Tiere voll Wehmut auslassen und direkt fragen: Was steckt hinter der Aussage, der Mensch sei ein Bild Gottes? Hier sind die entscheidenden Verse:

[…] „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. […] Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag.“

Genesis Kapitel 1, 26-31 (ELB)

Mit der Gottesebenbildlichkeit ist definitiv nicht gemeint, dass der Mensch aussieht, denkt oder handelt wie Gott. Aber was dann? Soll vielleicht ausgedrückt werden, dass wir (im Vergleich zu Tieren) einen besonderen Draht zu Gott haben? Dass wir einen Geist haben, der irgendwie mit Gott verbunden ist? Das mag stimmen, aber der direkte Kontext bietet eine noch viel naheliegendere Erklärung:

Das für Bild verwendete hebräische Wort zelem meint eindeutig eine dreidimensionale Bildsäule, manchmal sogar Götzenfiguren (vgl. Numeri 33,52). Wir wissen, dass die alten Herrscher des vorderen Orients und Ägyptens gern eine solche Statue von sich selbst auf erobertem Gebiet errichten ließen, um gewissermaßen ihr Revier zu markieren. In gleicher Weise repräsentieren die Menschen Gottes Herrschaft über die Erde! Genau das sagt der Allmächtige doch unmittelbar nach der Menschenschöpfung: „Sie sollen herrschen […] über die ganze Erde.“ Ein Bild Gottes zu sein, bedeutet in erster Linie, Mutter Erde an Gottes Stelle und in seinem Sinn zu bebauen und zu bewahren.

Schließlich bewertet Gott den erschaffenen Kosmos in seiner Gesamtheit, alle Prozesse der Natur, die Hierarchie der Lebewesen, das perfekt abgestimmte Ökosystem – und siehe, es war nicht gut, sondern sehr gut.

Siebter Tag: Kampf um die Ruhe

Am siebten Tag ruhte Gott. Aber nicht, weil ihm die Kraft oder die Ideen ausgegangen wären. Der Bedeutungsspielraum des hebräischen Wortes schabat, das hier steht, erstreckt sich von ruhen und aufhören bis hin zu feiern. Gott feiert seine Kreationen!

„Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte; und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte.“

Genesis, Kapitel 2, 2 (ELB)

Im weiteren Verlauf der biblischen Erzählung (in Exodus, dem zweiten Buch Mose) wird daraus die Wochenstruktur abgeleitet, die wir bis heute haben und die sich fast überall in der Welt durchgesetzt hat:

„Sechs Tage sollst du deine Arbeiten verrichten. Aber am siebten Tag sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Magd und der Fremde Atem schöpfen.“

Exodus, Kapitel 23, 12 (ELB)

Im Genesis-Text ist allerdings nicht davon die Rede, dass Menschen ruhen, sondern nur Gott. Warum ist das so? Eine plausible Erklärung wäre, dass das Sieben-Tage-Werk auf eine sehr alte Tradition zurückgeht, die nur Gott mit der Ruhe in Verbindung brachte. Tatsächlich finden sich deutliche Spuren davon in der sumerischen Literatur!

Das akkadische Atrahasis-Epos aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr. ist womöglich eines der grundlegendesten Werke menschlicher Mythen-Dichtung. Im Prinzip enthält es die aus der Bibel bekannte Schöpfungs- und Sintflutgeschichte aus Sicht der Mesopotamier. Doch es liefert noch ein weiteres Mythem, das die Motivation hinter Schöpfung und Sintflut offenbart: Am Anfang der Zeit mussten die niederen Igigi-Götter anstelle der Menschen arbeiten, um das Fluss- und Kanalsystem des Zweistromlandes intakt zu halten. Daher auch der akkadische Name des Epos: Inuma ilu awilum, „als die Götter [wie] Menschen waren“.

„Als die Götter anstelle der Menschen
Die Arbeit taten, die Lasten trugen,
War der Götter Last zu groß,
Die Arbeit zu hart, die Mühe zu viel,
Die großen Anunnaki gaben den Igigi
Die Arbeitslast siebenfach zu tragen.“

Atrahasis-Epos, Zeile 1-6 (aus: „Myths from Mesopotamia“, Stephanie Dalley, Übers. aus dem Englischen von mir)
Bruchstücke der ersten Tafel des Atrahasis-Epos im British Museum

Schließlich rebellierten die Igigi wegen der harten Arbeit gegen die Anunnaki-Götter und beschwerten sich bei ihrem König Enlil. Ein Glück, dass der weise Gott Enki auf die Idee kam, man könne Menschen als Arbeitskräfte erschaffen! (Danke, Enki!)

Gesagt, getan: Enki und die Muttergöttin erschaffen aus Lehm und dem Blut eines hingeschlachteten Gottes die ersten Menschen. Fortan mussten die armen Geschöpfe die Erde bebauen, und die Götter fanden Ruhe. Das war 600 Jahre lang eine prima Lösung, doch dann musste Enlil feststellen, dass sich diese Humanoiden wie Ratten vermehrten und dabei einen Lärm machten, als seien sie im Krieg. Wieder fand er keine Ruhe und keinen Schlaf! Eine neue Lösung musste her: Seuchen! Hungersnot! Die Götter legten eine furchterregende Kreativität an den Tag. Doch nichts konnte die Menschheit ausreichend dezimieren. Am Ende kam die ultimative Massenvernichtungswaffe zum Einsatz: Die Sintflut. Klingt nach einer endlos tragischen Geschichte? Ist es auch.

Dass die Götter die Menschen erschufen, um selbst Ruhe von ihrer Arbeit zu finden, ist ein Mythem, das schon lange bekannt war, als der altbabylonische Schreiber Ipiq-Aya das Atrahasis-Epos festhielt. Man findet es bereits in der Erzählung Ninurtas Heldentaten (Lugal-e) aus der Ur-III-Zeit und in vielen späteren Texten wie Enki und Ninmah. Während in den sumerischen Mythen der einzige Sinn hinter der Menschenschöpfung die Knechtschaft ist, wird die Menschheit in der biblischen Erzählung um ihrer selbst willen erschaffen. Die göttliche Ruhe ist davon unabhängig! Der sumerisch-akkadische Hintergrund des sechsten und siebten Schöpfungstages ist aber noch zwischen den Zeilen erkennbar: Der Mensch, das Bild Gottes, repräsentiert Gott auf Erden. Er soll die Schöpfung anstelle Gottes bearbeiten, und deshalb findet Gott am siebten Tag Ruhe.

Freilich ist der transzendente Gott nicht auf menschliche Arbeitskraft angewiesen. Aber aus irgendwelchen Gründen hielt er es für sinnvoll, den Menschen diese Aufgabe zu übertragen. In der Tat kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Menschen eine Aufgabe brauchen. Wir sind darauf angelegt! Langfristige Arbeitslosigkeit ist ein schweres Schicksal, das bis zu Depression und Suizid führen kann. Umgekehrt kann ausgelebte Kreativität und Produktivität massiv Glücksgefühle ausschütten. Leider muss man in unserer Welt dazu sagen, dass wir von gesunder, erfüllender Arbeit sprechen – nicht von endloser Plackerei wie im Atrahasis-Epos.

Der Bibeltext greift die mesopotamische Idee auf, stellt sie aber in einem ganz anderen Licht dar: Ja, der Mensch soll mit seinen Händen arbeiten. Aber nicht, weil er damit Gott entlastet, sondern weil es gut für ihn ist. Und ja, die Ruhe liegt in der Tat bei Gott, aber der hortet sie nicht für sich! Spätestens im Buch Exodus wird klar, dass Gott die Menschen an seiner Ruhe teilhaben lassen möchte. Kurz gesagt: Nicht der Mensch verschafft Gott Ruhe, sondern Gott den Menschen!

Vom Anbeginn menschlicher Zivilisation war die Gesellschaft im Grunde in zwei Extreme geteilt: Eine kleine Oberschicht (Könige, Würdenträger), die eigentlich nie arbeitete, und eine große Unterschicht (Bauern, Sklaven), die immer arbeiten musste. Der Sieben-Tages-Rhythmus der hebräischen Gesetzgebung durchbrach dieses System: Jeder Bauer und Sklave, ja sogar die Tiere und das Land selbst, sollten nach sechs Arbeitstagen einen Ruhetag (Sabbat) bekommen. Gott hat nicht nur für jedes Lebewesen einen passenden Lebensraum vorbereitet, sondern auch einen gesunden Rhythmus der Lebenszeit. Die hebräische Schöpfungserzählung der sieben Tage mit ihrem Höhepunkt im Sabbat ist eine Kampfansage an alle Machthaber dieser Welt, die andere unterdrücken und ausbeuten. Dazu gehören auch die sumerischen Götter!

Die Architektur der Welt

Das ganze Universum mit allem Leben von der Amöbe bis zur Menschheit wurde also innerhalb von sechs Tagen erschaffen – oder wie ist das gemeint? Aufgrund unserer kulturellen Prägung wollen wir Ereignisse immer in einen zeitlichen Ablauf einordnen, besonders wenn Worte wie Anfang oder Tag fallen. Doch die Schöpfungswoche sollte man besser zeitlos verstehen; zumindest die ersten drei Tage. Wir haben gesehen, dass die Uhren erst am vierten Tag zu ticken beginnen. Damit ergibt sich eine bemerkenswerte Struktur: Zunächst erschafft Gott die Lebensräume durch die Bändigung der Chaos-Elemente (Finsternis und Meer). Daraufhin beginnt der Fluss der Zeit, in dem der Schöpfer die Lebensräume bevölkert:

I. Erschaffung der Lebensräume

  • Tag 1: Licht (Die Finsternis wird abgetrennt)
  • Tag 2: Lufthimmel (Trennung des Ur-Ozeans in vertikaler Richtung)
  • Tag 3: Festland und Pflanzen (Trennung des Ur-Ozeans in horizontaler Richtung)

II. Bevölkerung der Lebensräume

  • Tag 4: Sonne, Mond und Sterne
  • Tag 5: Fische und Vögel
  • Tag 6: Landtiere und Menschen

Man sieht deutlich, dass die Schöpfungswerke der Tage 4–6 in ihrer Reihenfolge exakt in die Lebensräume der Tage 1–3 passen: Die Gestirne „leben“ im und durch das Licht; die Fische und Vögel im Lufthimmel und dem Ozean; die Landtiere und Menschen auf dem Festland. Der Aufbau dieser Schöpfungserzählung ist bis ins Detail durchdacht. Einmal mehr wird deutlich, dass es nicht um wörtliche Tage geht, sondern um so etwas wie Sinn-Abschnitte, die nur bedingt einem zeitlichen Ablauf folgen.

Ein Weltbild von vielen. (Illustrator unbekannt)

Abstrakte Begriffe wie Zeit sind in der althebräischen Sprache unbekannt, deshalb werden sinnlich wahrnehmbare, anschaulichere Umschreibungen wie Tag und Nacht verwendet. Wie sollen es auch Tage im Sinne einer Erdumdrehung sein, wenn die Sonne als Bezugspunkt und Stabilisierung der Umlaufbahn erst am vierten Tag erschaffen wird?

In der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel (der Septuaginta) steht im ersten Satz der Genesis für Anfang das Wort archē, wovon unser Wort Architektur stammt. Das heißt, es geht um keinen zeitlichen Anfang, sondern einen Strukturellen. Die erste Schöpfungserzählung enthält keine chronologischen Daten oder genaue Beschreibungen des Schöpfungsaktes, sondern sie gibt Auskunft über die Grundlagen der Welt, ihren Aufbau, die Rahmenbedingungen und geltenden Prinzipien; sie zeigt nicht in welcher Reihenfolge die sichtbaren Dinge entstanden sind, sondern was die Welt im Innersten zusammenhält.

Dem einen oder anderen mag diese Sicht ganz revolutionär oder gar häretisch erscheinen. Tatsächlich ist nichts davon neu. Schon der Kirchenvater Hieronymus (347–420) wusste in seiner lateinischen Bibel-Übersetzung (der Vulgata) klar zu differenzieren: Für Anfang schrieb er nicht in initio, was einen chronologischen Anfang (eine Initial-Zündung) eindeutig ausgedrückt hätte. Sondern er schrieb in principio, womit er zu erkennen gibt, dass hier zeitlose Grundsätze – Prinzipien – formuliert werden.

Bis heute lässt Gott jeden Tag die Sonne für seine Menschen aufgehen; jeder Tag ist Schöpfung.